Mohren-Apotheken, Zigeunersauce und Co. Wir sind in den letzten Jahren sensibler geworden, wenn es um die Verwendung rassistisch geprägter Begriffe geht. Doch manch eine:r tut sich noch immer schwer damit.

Dass sich gar ganze Städte dagegen wehren, rassistische Motive und Bezeichnungen abzulegen, kann man am Beispiel meiner Heimatstadt sehen. Eisenberg in Thüringen.

Eisenbergs Geschichte mit „dem M.“ ist eine, die zeigt, wie wenig sensibel wir nach wie vor mit Geschichte umgehen. Es ist eine Blaupause der Ignoranz. Und Eisenberg als Stadt und Gesellschaft scheinbar unbelehrbar.

Eisenberg und sein „Mohr“

Eisenberg trägt einen Schwarzen – ziemlich stereotyp mit krausem Haar und vollen, roten Lippen – im Wappen. Die Stadt ist stolz darauf. Denn dass der Mann da über der Eisenberger Stadtmauer drohnt ist auch eine Geste der Wiedergutmachung. Der Sage nach, die man sich in Eisenberg gern erzählt, geht das Wappen auf die Zeit der Kreuzzüge zurück. Damals war die Stadt gerade einmal 200 Jahre alt, aber der Herzog brachte einen „Diener“ mit in die Stadt. Der wurde nach jahrelanger Pflichterfüllung eines Verbrechens bezichtigt, auf den Schaffot geführt und in letzter Sekunde von der Gräfin gerettet. Dem Tod entronn er, weil die Gräfin ein von ihm gestohlen vermutetes Schmuckstück in letzter Sekunde wieder fand.
Die Sage erstmals wirklich niedergeschrieben findet man nicht vor 1837. In der originalen Fassung bringt der Schwarze die Leiche des Grafen nach Hause und wird dafür geehrt. In einer anderen rettet er den Grafen auf dem Kreuzzug. Und ein andermal hat der Schwarze ein unerlaubtes Verhältnis mit der Gräfin und landet deshalb vor dem Henker.

Nicht auszuschließen ist übrigens, dass es den Schwarzen in Eisenberg nie gab. Fakt ist, dass es das Stadtwappen bereits vor der Sage gab. Und so könnte die Silhoutte des Mannes auch einfach über die Jahrhunderte aus einer ungenauen Zeichnung eines Helmes entstanden sein.
Einen Namen übrigens hat er in keiner Version der Sage und historische Aufzeichnungen gibt es ebenso wenig.

In Eisenberg begegnet Besuchern und Einwohnern „ihr“ M. an vielen Stellen. Angefangen im Wappen, doch auch in Form eines Brunnens. Es gibt ein „nach ihm benanntest“ Hotel, ein Café, eine Bäckerei. Und an vielen Stellen steht nicht nur das Wort in großen, stolzen Buchstaben – sondern auch die stereotype Darstellung eines Schwarzen in Silhoutten oder Statuen.

Seit 2019 hält die Stadt nun auch ein „Mohrenfest“ ab. Ein Stadtfest, dass es bereits länger gab, welches man jedoch erst 2019 mit dem M.-Wort versah. Ein Fest mit Musik, Tanz, Verkauf, der Aufführung der Stadtsage inklusive schwarz geschminkter Kinder. Und vielleicht sogar auch mit ein wenig Stolz. Stolz darauf, wie weltoffen man ist – schließlich feiert man hier im thüringischen Osten ja einen Schwarzen!

Warum das M.-Wort nicht in eine moderne Welt gehört

Spätestens seit der Diskussion um die M.-Straße in Berlin rückt auch Eisenberg immer wieder in den Fokus. In Coburg und andere Städten tut man sich ebenso schwer, das M.-Wort oder rassistische Darstellungen in Stadtwappen zu korrigieren. Und so ignoriert man in Thüringen die Diskussion weitgehend.

Vielen Einwohnern scheint in der Debatte auch nicht klar, warum das M.-Wort nun heute „böse“ ist.
Damit sind sie sicherlich nicht allein. Dieses Unverständnis ist auch bei anderen sprachlichen Entwicklungen der letzten Jahre, die zu mehr Gleichberechtigung beitragen sollen, zu sehen. Sie stoßen vor allem in mittleren bis späten Altersgruppen auf Irritation. „Haben wir immer so gesagt“ jedoch ist kein Argument, wenn man es zwischenzeitlich besser weiß.

Das M.-Wort ist ein überholter Begriff, der nicht einen Menschen bezeichnet, sondern ihn herabwürdigt indem es rassistische Stereotype bedient. Erst Recht auch im Zusammenhang mit der wohl fiktiven Eisenberger Sage. Denn der „Eisenberger M.“ war kein „Diener“, wie es stets in der Sage steht, sondern schlicht ein Sklave.

Das M.-Wort war als Fremdbezeichnung schon immer rassistisch, herabwürdigend gemeint.

Es steht in der Sprachentwicklung der letzten 1.000 Jahre konstant als koloniale Metapher. Als Weißer Begriff wurde es über alle Schwarzen Stämmen, Völker und Menschen afrikanischer und asiatischer Herkunft gestülpt.
Nie hat sich auch nur ein Schwarzer Mensch als „M.“ bezeichnet. Und im Gegensatz zum N.-Wort hat der M. nie den Prozess der Aneignung durchlaufen. Aus den gleichen Gründen nutzen wir auch andere Worte für Minderheiten nicht mehr. Weil sie schlicht und einfach rassistisch sind.

Und nicht zuletzt steht das M.-Wort für eine Überzeugung, dass ‚Schwarze zum Dienen‘ geboren seien. Daran erinnert zum Beispiel auch die Redewendungen „Der M. hat seine Schuldigkeit getan, der M. kann gehen“. Nun also einen Schwarzen Sklaven ausgerechnet damit ehren zu wollen, dass man ihn als M. in den Köpfen der Menschen verankert ist eine historische Bosheit.

Eisenberg hält krampfhaft an „seinem M.“ fest

Der Bürgermeister der Stadt, Michael Kieslich (CDU), sieht – wie auch eine Vielzahl der Einwohner – kein Problem. In einem aktuellen Artikel der Lokalzeitung OTZ verweist er auf den Freiheitsgedanken der Sage, die zur Eisenberger Stadtgeschichte gehöre, schreibt Luise Giggel. Er will nicht mehr reden. Die Erwartungshaltung, den Mohr aus der Stadtgeschichte zu streichen, sei „nicht tragbar„. Man müsse – zitiert Giggel ihn indirekt weiter – „irgendwann akzeptieren, dass es unterschiedliche Positionen gebe, die sich nicht verändern würden„.

Ignoranter kann man Minderheiten gegenüber eigentlich nicht auftreten.

Schon seit 2019 fordern diverse Netzwerke, Einwohner und Aktivisten die Stadt auf, ihr Sommerfest umzubenennen. Von einer „Streichung der Geschichte“, die Kieslich sieht, ist nirgendwo die Rede.

Auch in der Stadt selbst regt sich langsam Widerstand. Jüngst kündigte eine Bürgerinitiative Widerstand „gegen den rassistischen Konsens in Eisenberg“ an. Sie wollen parallel zum Fest eigene Veranstaltungen zur Aufklärung halten.

In der Stadt indes trifft die Position des Bürgermeisters offenbar auf breite Zustimmung.
So versammeln sich in der Facebook-Gruppe der Stadt – mit immerhin knapp zweitausend der elftausend Einwohner – weitgehend ignorante Kommentare, wenn es um das M.-Fest geht.

Der M. gehört dazu„, kommentiert da einer, viele sehen „linke Hetzer„, manche raten dazu es „einfach [zu] ignorieren„, manch einer sieht die Diskussion als „Müll“ an. In „keinen Land der Welt gibt es weniger Rassismus als in Deutschland„, meint einer im gleichen Kommentar-Thread, in dem eine „Minderheitsmeinung“ ignoriert wird. Eine schreibt: „Letztlich geht ja der Rassismus in diesem Falle von Leuten aus, die ihn hier sehen„. Und andere sehen einfach „dumme Menschen die den Begriff Mohren und ihren Hintergrund nicht verstehen„. Am Ende, so der Tenor „hetze [man] gegen unser Fest„. All die kursiven Äußerungen in diesem Absatz sind Zitate. In den Kommentarspalten gibt es viel Zustimmung zu diesen Standpunkten – und keine einzige Kritik daran.

Die Stadt täte gut daran ihr „M.-Fest“ umzubenennen

Blickt man auf die sprachliche Herkunft des M-Wortes sollte man eigentlich davon ausgehen, dass Eisenberg vom M.-Begriff abrückt, wenn die Stadt den Sklaven ihrer Herzöglichkeit ernsthaft ehren will. Sofern man der Sage am Ende glaubt. Denn keiner weiß wirklich, ob die am Ende nicht fiktiv ist.
So oder so: Für den Helden der Geschichte ist das M.-Wort eine Beleidigung.
War es immer und wird es immer bleiben.

Dass am Ende Weiße immer wieder beurteilen, ob Rassismus nun rassistisch ist oder nicht ist wohl eine Eigenheit der gesamten Debatte. Ich empfehle Michael Kieslich – wie zumindest auch jedem Kommentator der Eisenberger Facebook-Gruppe – eine Leküre. „Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen aber wissen sollten“ von Alice Hasters hat mir als thüringische Kartoffel, die sich für weltoffen hielt, vor knapp drei Jahren noch einmal vieles gelehrt. Witzigerweise erschien das Buch genau in dem Jahr, in welchem Eisenberg sein M.-Fest erstmals hielt.

Eisenberg will sich bunt und weltoffen präsentieren. Unverständlich bleibt dann jedoch, wieso man sich dazu grampfhaft an einem Begriff festklammert, der zumindest einmal „problembehaftet“ ist.

Und dass ausgerechnet „Ossis“ einfach nicht verstehen wollen, dass manche von anderen auferlegte Bezeichnungen weh tun könnten, ist dann leider nur traurig.

Thomas Gigold ist Jahrgang 1980. Er ist in einer tief in Eisenberg verwurzelten Familie aufgewachsen, kehrte der Stadt jedoch 2001 den Rücken. Heute lebt er mit Familie rund 60 Kilometer von seiner Heimat entfernt.