Keine Zeit „vergeuden“. Diese Lebenseinstellung treibt das Wachstum von Podcasts, Hörbüchern und neuerdings auch Social Audio an. Egal, was man tut: die Zeit darf nicht mehr banal verschwinden. Wäsche waschen, Spülmaschine einräumen, im Auto sitzen, in der Warteschlange zum Corona-Test stehen, …. Nein, diese Zeit muss genutzt werden – und man kann sie ja auch sinnvoll füllen: dank kleiner Kopfhörer und immer günstiger werdenden Mobilfunk-Tarife spielen wir nicht mehr Candy Crush sondern lauschen True Crime Geschichten, Nachrichten, oder dem Neusten von der Fleischtheke („Gemischtes Hack“ ist Deutschlands erfolgreichster Podcast).

Kein Wunder also, dass Spotify seit drei Jahren intensiv in das Thema investiert. Und jetzt ist auch der Rest aufgewacht. Apple hat das Thema jahrelang verschlafen; Facebook sich auf Video konzentriert. Doch der Hype um Clubhouse scheint sowas wie ein Erwachungsmoment gewesen zu sein.

Jetzt sind sie plötzlich alle da. Apple, Facebook, Twitter, Telegram, selbst Reddit

Was ist ‚Social Audio‘?

Wenn wir über den neuen Audio-Boom sprechen, dann wabert der Begriff ‚Social Audio‘ immer mit. Die neue Wortschöpfung fasst dabei im Grunde nur verschiedene Audio-Formate zusammen: Podcasts, Live-Audio-Streams, etc. Weil nun jedoch die großen Social Media-Plattformen mitspielen und es insbesondere bei Angeboten wie Clubhouse darum geht, Menschen miteinander zu verbinden, oder mit Audio-Inhalten zu interagieren, ist Audio jetzt eben auch Social. Und, dass neue Wellen neue Begriffe prägen ist natürlich nichts Neues.

Der Erwachungsmoment

Clubhouse war vielleicht nicht erste App, in der sich Menschen in virtuellen Räumen treffen und gegenseitig lauschen konnten. Tatsächlich erinnert das Konzept sehr an meine erste virtuelle Welt: Die Villa und Starbase 49 waren Mitte der 1990er Jahre zwei ähnliche Audio-Dienste – damals nur ganz ohne App und Smart, aber bereits am Phone.

Durch die Mechaniken der künstlichen Verknappung von Zugängen geriet Clubhouse binnen weniger Monate zu etwas wie dem heimlichen Star im Silicon Valley. Dann setzte Anfang Januar ein Hype ein und binnen Tagen schoss die App in den Download-Charts in Deutschland, den USA und selbst China nach oben. Wer nicht drin war, war ein Niemand. Einladungen wurden für harte Euro selbst auf eBay versteigert.

Schon damals allerdings war eines absehbar: Dass Clubhouse bald wieder in seine selbstgewählte Nische der Tech- und Medien-Schlaumeier zurück fallen und Platz für jemand anderen machen würde. Zu hemdsärmelig war die App programmiert, zu wenig die Macher auf die Aufmerksamkeitswelle vorbereitet, und zu leicht kopierbar die Technologie. Und dann war da noch das Publikum. Denn der Hype zog dieses vor allem aus der Plattform Twitter – und dort stand eine eigene, stärkere Version eines Clubhauses bereits in den Startlöchern: Twitter Spaces.

Drei Monate später nun ist es soweit. Während Clubhouse wieder in den Niederungen der App-Charts verschwindet (72% weniger Downloads als im Januar, spürbar weniger aktive Nutzer) rollt Twitter sein Angebot nach einer Beta-Phase für alle aus. Spotify hat inzwischen den Clubhouse-Wettbewerber Locker Room übernommen. Und Facebook, Reddit sowie andere Plattformen bringen ihre Audio-Geschütze in Stellung. Man verzeihe den martialischen Vergleich, aber: Willkommen in der Morgendämmerung eines aufziehenden Kriegs um unsere Ohren.

Mit was Facebook und Co jetzt aufwarten

Dass Facebook binnen kürzester Zeit mit einem eigenen Clubhouse-Klon an den Start gehen wird hatten eigentlich alle erwartet. Schließlich haben die fleißigen Programmierer des Blauen Riesen in den letzten Jahren so ziemlich alle Formate mit Potential rasant kopiert und in die eigenen Produkte eingebaut. Die erfolgreichsten: Stories von Snapchat und Kurz-videos von TikTok.

Doch was Facebook Mitte April vorstellte war mehr. Das Unternehmen präsentierte eine umfangreiche Audio-Roadmap, die nicht nur Erwartbares, sondern auch Innovationsfreude zeigt; der eigene Clubhouse Klon ist da nur schmückendes Beiwerk.

Mit einer Vielzahl an neuen Features will man Creator auf der Plattform ein umfangreiches Audio-Toolset in die Hand geben.

Im Einzelnen:

  • Die Audio Creation Tools sollen jedem erlauben, Audioinhalte in guter Qualität zu posten – inklusive der Möglichkeit Filter, Audio-Snippets und Songs aus der bereits vorhandenen Facebook Audio Library einzubauen.
  • Mit Podcasts for Facebook veröffentlicht man direkt nach Ankündigung eine enge Verzahnung mit Spotify, die das Entdecken und Hören von Podcasts einfacher macht. So können Podcasts jetzt direkt in der Facebook App eingebunden aber auch gehört werden
  • Über das ‚Project Boombox‘ sollen zudem Clips aus Musik und Podcasts von Spotify auf Facebook leichter geteilt werden können.
  • Mit den Live Audio Rooms bietet man den eigenen Clubhouse-Klon, in dem Nutzer in virtuellen Räumen miteinander reden können.
  • Und schließlich wären da Soundbites – Facebooks „Take on Social Audio“. Soundbites sollen „TikTok Videos für das Audio-Genre“ werden. Das hatte zuletzt Twitter mit seinen Audio-Tweets versucht, die allerdings kaum einer nutzt. Facebook denkt, Soundbites seien perfekt geeignet um Witze, Anekdoten, Gedichte oder „viele andere Dinge, die man sich aktuell noch nicht vorstellen kann“ zu veröffentlichen.

Facebooks neue Audio-Roadmap ist ein Rundumschlag.

Es geht ums Geld, für Creator und Plattformen

Auch bei der Monetarisierung von (Audio-)Inhalten gibt Facebook Gas. Mit „Starts“, Einmal- und Abo-Zahlungen bietet man künftig Tools an, um Geld einzusammeln. Ähnlich denen, die Nutzer*innen bereits von Plattformen wie Twitch kennen.

Überhaupt ist das Thema „Geld für Creators“ in diesem Jahr ein riesiges. Alle Plattformen versuchen Creators an sich zu binden und ihnen Tools in die Hände zu geben, um Geld zu verdienen. Dabei geht es um zwei Dinge: Zum einen wissen die Plattformen natürlich, dass sie auf die Inhalte der Creators angewiesen sind. Mit den neuen Tools will man ihnen schmackhaft machen zu bleiben. Zum anderen sollen all die Micro-, Makro- und Groß-Influencer ihre Umsätze aber auch nicht mehr an den Plattform-Betreibern vorbei machen. Die wollen in Zukunft ein Stück weit unabhängiger von Werbung werden und Provisionen verdienen.

Damit ist Facebook nicht allein.

Bereits Anfang März kam zum Beispiel der erste Hinweis, dass Apple mit Podcasts auf eine neue Strategie zusteuerte. Da ersetzte man das Wort „Subscribe“ (Abonnieren) in der eigenen Podcast-App durch den Begriff „Follow“ (Folgen). Seit dem Apple-Event am 20. April nun weiß jeder warum: Subscribe ist in Zukunft für Hörerinnen nämlich mit Kosten verbunden. Auch Apple wird es Podcast-Anbieterinnen erlauben, künftig Gebühren zu erheben – für Abos oder exklusive Inhalte.

Und nur drei Tage nach Apples Ankündigung schwang sich auch Spotify auf, eine bezahlte Abo-Funktion für seine Podcast-Creators anzubieten.

Im Jahr Drei der Podcast-Renaissance haben Podcast-Anbieter damit erstmals die Möglichkeit ihre Audio-Angebote auf den großen Plattformen direkt zu monetarisieren.

In einer aktuellen Umfrage gaben satte 58% der Podcast-Hörer in Deutschland an, sie seien vielleicht oder definitiv bereit etwas für ihren Lieblingspodcast zu zahlen.

Für Creator zumindest könnte es ein lohnendes Geschäft werden, wenn sie genügend Nutzer*innen finden. Spotify will von den so erzielten Umsätzen in den kommenden zwei Jahren nichts einbehalten, danach nur 5%. Bei Apple gelten indes die üblichen Konditionen: 30 Prozent im ersten Jahr, 15 Prozent, wenn das Abo länger als ein Jahr läuft.

Spotify rollt seine Abo-Funktion zunächst in den USA aus, Apple startet im Mai direkt in mehr als 170 Ländern.

Die Frage, die sich als Hörer*in stellt ist dann nur: Wie viel Geld soll ich eigentlich auf wie vielen Plattformen noch ausgeben?
Vor dem Dilemma stehen Medien-Nutzer heute bereits im digitalen Zeitungsangebot: Verlagsangebote bauen vor ihren Inhalten eine Bezahlschranke auf – eine Paywall. So ist ein freier Zugang und Austausch nicht mehr möglich.
Im Angebots-Dschungel wird das Medienbudget des Einzelnen immer stärker beansprucht: Netflix, Disney+, Apple+, TVNow, YouTube und OnlyFans, Spotify, die digitale Zeitung, und jetzt auch das digitale Radio.
Da kommt ordentlich was zusammen …

Das Problem mit der Kontrolle

Während sich für Hörer*innen also die Frage stellt: Wohin mit meinem Geld, gilt die Frage der Unternehmen eher: Wer kontrolliert die neue Audio-Flut eigentlich?

Denn mit den neuen Inhalten kommen auch neue Probleme. Die Achilles-Verse sozialer Plattformen ist bereits heute die Content-Moderation: Was darf eigentlich wer auf einer Plattform erzählen? Und wer überprüft den Wahrheitsgehalt?

Vor allem die zurückliegenden vier Jahre Donald Trump haben hier fundamentale Probleme aufgezeigt, denen die Plattformen nur schwer begegnen.

Gerade bei den zunehmenden Social Audio-Angeboten zeigt sich hier die größte Schwäche: Das Tor für unwidersprochene Fake-News und Verschwörungstheorien ebenso wie Beleidigungen ist weit offen.

Social Audio sind die neuen Stories

Bei all den offenen Fragen ist eines indes klar: Social Audio wird bleiben.

Und meine Prognose aus dem Januar nimmt Formen an: Social Audio ist keine eigene Plattform wie Clubhouse, sondern ein Feature, welches man in Zukunft auf allen möglichen Plattformen antreffen wird.

Wer sich jetzt also Gedanken um eine Audio Strategie macht, sollte sich eher darauf festlegen, wo seine Nutzer sind und wie sich Audio dort sinnvoll nutzen lässt, anstatt auf eine App oder Plattform zu setzen.

Clubhouse zeigt, wie manch andere Plattform, die den Markt revolutionieren wollte, nach bereits wenigen Monaten Schwächen – das Momentum der letzten Monate konnten die Macher nicht nutzen. Das breite Publikum wird Social Audio woanders hören. Wo, wird am Ende dann von der Zielgruppe abhängig sein.

Spotify CEO Daniel Ek zumindest schaut mit Freude strahlenden Augen in die Zukunft: „As more people start engaging with a feature in a medium, you start seeing more and more professional creators jump on board. So I think it’s probably going to start out with spoken word content,” he said. “But specifically as it relates to Spotify, I think that there will be a lot of musicians that want to engage in everything from speaking to their fans to having listening parties and all other things because it’s so clear to them that on the Spotify platform, that engagement drives meaningful conversion to monetization opportunities just on the basis of our revenue model.

Ich bin gespannt!