Seit mehreren Jahren zieht es mich mit der Familie immer wieder nach Schweden. Als Verteidigung für die regelmäßigen Touren dient uns die dort lebende – vor Jahren ausgewanderte – Verwandtschaft. Eigentlich verantwortlich aber ist unsere scheue Verliebtheit, die wir diesem Land gegenüber pflegen. Ohne Zweifel: Es gibt aufregendere Länder. Gerade das jedoch ist, was dieses Land sympathisch macht – die Unaufgeregtheit.

Nun ist es mit den Schweden natürlich nicht anders, als mit uns Deutschen. Wir haben unsere Verhaltensmuster und Macken. Damit ihr auf dem Weg der Verliebtheit zu Nordeuropa nicht stolpert, habe ich ein paar Fakten zusammen gestellt. Diese helfen euch im Urlaub hoffentlich ein wenig, mit den Eigenheiten im IKEA Heimatland klar zu kommen. Gesagt sei an dieser Stelle: natürlich sind pauschale Aussagen über Länder stets nicht immer auf jeden Einzelnen herunter zu brechen.


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Fika ist sozialer Kleber.

Fika ist für die Schweden, was für die Briten der Fünf-Uhr-Tee – die heilige Kaffeepause. Dabei ist fika nicht an eine Uhrzeit, sondern nette Menschen gebunden.
fie-ka ist im Schwedisch ebenso Verb wie Substantiv und kann mit Familie, Freunden oder Kollegen verbracht werden. Es ist eine Auszeit, mit einem Kaffee oder Tee sowie meist auch etwas Kleinem zu essen. Zum Beispiel einer Kanelbulle (Zimtschnecke), Smörgås (belegtes Brot) oder Keksen – dem sogenannten Fikabröd, oder doppa (Tunkgut).

Fika ist ein Non-Date-Date, welches fest sowohl zum Arbeitsalltag als auch sozialen Leben gehört. Verabreden sich also zwei Menschen zu einer Fika ist dies der Rahmen für einen lockeren Austausch; soziale oder berufliche Ränge spielen dann keine Rolle.
Wichtig jedoch zu wissen: Schweden sind zurückhaltend, all zu private Details werden bei der Kaffeepause nicht ausgetauscht.

Schweden - Fika ist soziales Leben

Wetter geht immer.

Weil das Väder in Schweden vor allem aus Wolken besteht, reden die Bewohner gern darüber, wie es ist, sein könnte und wird. Bedeutet: Wenn die Sonne scheint, ist das ein wichtiges Thema. Wenn sie nicht scheint, ist es mindestens ebenso wichtig, weil sie es ja nicht tut.
Schweden reden immer gern über das Wetter und lassen bei den ersten Sonnenstrahlen alles stehen und liegen.
Insbesondere bei einer Fika sollten die Teilnehmer darauf vorbereitet sein, sich über das Wetter auszutauschen. Nichts darüber zu wissen, oder zu sagen, bedeutet: nicht von dieser Welt zu sein. Wetter ist nicht nur ein Smalltalk-Thema, es ist das Thema.
Eine Frage, die übrigens überflüssig ist: Ob es dem Gegenüber kalt ist. Die Menschen da oben stammen von den Wikingern ab. Nie würde Jemand zugeben, dass es kalt ist. Det finns inget dåligt väder, det finns bara dåliga kläder – es gibt kein schlechtes Wetter, nur schlechte Kleidung.

Lagom ist eine Lebenseinstellung.

Lagom beschreibt die Einstellung zum Thema Gerechtigkeit der Schweden – es bedeutet, dass etwas genau richtig ist. Es ist ein kleines Wort mit großer Bedeutung, denn es drückt nicht weniger als die Bevorzugung des gesunden Mittelmaßes aus. Eine elementare Lebenseinstellung.
Ist etwas oder jemand lagom, mag es der durchschnittliche Schwede. Dann ist es nicht extrem, übertrieben oder auch zu wenig.
Den Bewohnern des viertgrößten europäischen Landes ist es unangenehm, wenn Einzelne einen Vorteil erlangen oder der Gesprächspartner zu dick aufträgt. Die Kunst ist also, genau richtig – oder eben: angepasst – zu sein.
Dabei kann jede Art von Zustand lagom sein: Wetter, Geschwindigkeit, Essensportionen, Kleidung, Verhalten, …
Fika übrigens ist lagom, um Menschen kennen zu lernen.

Lagom kann durchaus als schwedische Version des dänischen Trends Hygge verstanden werden. Schweden mögen es zwar nicht weniger kuschelig, als die überall hyggenden Menschen – für sie wäre das ruhige Abhängen vor Feuer mit Netflix aber weniger berichtenswert.
Das hat mit dem Selbstverständnis zu tun.

Gerechtigkeit ist wichtig.

Schließlich hat lagom zu sein, hat viel mit Gerechtigkeit zu tun. Und die ist wichtig. Niemand soll benachteiligt werden, niemand soll das Gefühl haben weniger wert zu sein, als andere. Das ist ein hochgradig sozialistischer Gedanke, und der, weshalb es zum Beispiel kein direktes Steuergeheimnis gibt: in Schweden ist es möglich direkt abzugragen, was der Nachbar an Steuern zahlt.
Gerecht muss es zum Beispiel auch im Supermarkt zugehen. Dazu gehört, sich anzustellen und den Einkauf nicht auf das Band zu türmen, wie in Deutschland üblich. Nein, Artikel werden hintereinander, möglichst mit dem Barcode zum Personal gedreht, gelegt, damit der/die Kassierer/in es einfach hat.
Auch deswegen befolgen Schweden möglichst alle Vorschriften.
Eine Ausnahme hier ist das Verständnis von Eigentum. Wohnungseinbrüche oder kleinere Diebstähle kommen häufig vor. Dass Erfindungen wie Piratebay oder das Peer-to-Peer Börsen wie Kazaa aus Schweden kommen ist kein Zufall. Sie beschreiben das Verhältnis zu Eigentum und Besitz recht gut.

Schweden sind schüchtern

Das Land der Schüchternen.

Schweden sind grundsätzlich so offen wie möglich, wenn es der Gerechtigkeit dient. Aber sie sind auch zurückhaltend gegenüber Fremden. Das bedeutet nicht, dass sie nicht herzlich sind – sie freuen sich über Kontaktaufnahme. Aber die stellt bitte doch das Gegenüber her.
In öffentlichen Verkehrsmitteln wird die Privatsphäre respektiert. Das bedeutet: möglichst nicht direkt neben Fremde setzen, sondern Abstand wahren.
Kontakt zu Menschen lässt sich am Besten mit einer Konversation über das Wetter herstellen, bevor im nächsten Schritt die Einladung zur Fika folgt. Nicht zu einem Barbecue oder Dinner, nicht als Auftakt! Oh, und nicht darüber reden, dass Schweden stolz auf ihr Land sein können. Die Einwohner des Landes sind durchaus stolz, das zeigen die vielen Flaggen, die insbesondere im ländlichen Schweden wie selbstverständlich an jedem Haus hängen. Aber sie reden nicht gern über Stolz, das ist nicht lagom, und wäre den ausländischen Mitbürgern gegenüber ungerecht.

Bargeld wird nicht gern gesehen.

Bargeld ist in Schweden eher eine Belastung, als echtes Zahlungsmittel. Dass selbst Kleinstbeträge mit der Kreditkarte bezahlt werden, ist an der Tagesordnung. Rückgeld gibt es nicht aus der Hand der VerkäuferIn, sondern aus Automaten.
Der Großteil der Bevölkerung sieht die langsame Abschaffung des Bargelds als nicht problematisch an. Auf den Ämtern vieler Gemeinden gibt es bereits keine Kassen mehr – zu groß sind Aufwand, Sicherheitsrisiko und Kosten beim Umgang mit Bargeld.

Ohne Kreditkarte geht auch an vielen Tankstellen nichts. Insbesondere außerhalb der größeren Städte sind Tankstellen meist nicht mit Menschen besetzt, weshalb dort Selbstbedienungsautomaten stehen.
Vor der Reise also zwei Kreditkarten einpacken. Mit Prepaid- und Debit-Kreditkarten, die ich aus Sicherheitsgründen nutze, hatte ich bisher nie Probleme.

Im Sommer ist Schweden leerer.

Schweden lieben die Sonne. Auch, weil sie selbst davon auf das Jahr gesehen wenig haben.
Aus diesem Grund ist nicht nur Jeder bei den ersten Sonnenstrahlen draussen in der Natur. Im Sommer packen viele Schweden die Koffer und verlassen das Land, so weit möglich.
Daher sind viele Restaurants und Geschäfte im Sommer für einige Wochen geschlossen. Üblicherweise ist Schweden im Juli etwas leerer als im Rest des Jahres. So bleiben vor allem in ländlichen Gegenden die Türen vieler Unternehmen und gar die von Polizeistationen verschlossen.

Eine ganz andere Geschichte ist die Sommersonnenwende, Midsommar. Sie wird in Schweden Ende Juni jeweils ausgiebig gefeiert und spielt sozial wie auch kulturell eine große Rolle.

Schweden - Idylle mit rotem Haus

Alkohol ist als Geschenk stets willkommen.

Bei Partys ist der Gast in Schweden eine Art Selbstversorger. Denn trotz der Aufweichung des staatlichen Alkohol-Monopols sind hochprozentigere Erzeugnisse teuer. Deshalb bringen Gäste in der Regel eine Flasche dessen mit, was sie selbst gern trinken. Großzügige Gastgeber spendieren zu einer Party ein paar Flaschen Wein, aus denen sich Gäste sich bedienen dürfen. Alles Hochprozentigere bringen die Geladenen mit.

Zurückhaltung ist nur beim angebotenen Alkohol des Gastgebers geboten. Und beim Betreten eines Hauses oder einer Wohnung. Dort schlüpft der Gast ohne zusätzlichen Hinweis selbst aus den Schuhen.

Der Ball ist rund.

Alles kann passieren – Bollen är rund; der Ball ist rund. Das ist nicht nur eine beliebter Ausspruch, sondern eine Lebenseinstellung. Schweden sind entspannt, und wenn etwas passieren soll, wird es eben auch passieren – mit, oder ohne Hilfe von aussen.
Ein jeder muss also selbst zum Spieler werden, statt darauf zu hoffen, den Ball zu bekommen. Klingt anstrengend, ist in der Tat aber entspannend. So kann die jährliche Steuer im Grunde per SMS erklärt werden. Minimalaufwand ist eine Lebenseinstellung. Warten auch. Auf Handwerker zum Beispiel, bei denen lange auf einen Termin zu warten ist.
Mit dieser Lebenseinstellung muss vor allem der zeitoptimierte Deutsche klar kommen. Auf der anderen Seite erdet sie. Der Beruf ist nicht Alles, Wetter ist es …

Auf dem richtigen Weg bleiben.

Nicht alles, was in Schweden als offizielle Straße gilt, ist asphaltiert. Wenn das Navigationsgerät also auf eine Schotterpiste führt: ruhig bleiben und sich durchaus trauen, den eingeschlagenen Weg fortzusetzen.

Sollte der Weg doch wider Erwarten auf einem Privatgrund enden, kommt einem das Allemansrätten zu Hilfe. Dieses Recht garantiert Jedem, sich frei bewegen zu dürfen. Menschen dürfen auf Berge klettern, in Seen schwimmen, wild campen und fremde Grundstücke durchqueren. Pflicht dabei jedoch: Natur und Menschen zu respektieren und heil zu lassen.

Als Autofahrer übrigens noch gut zu wissen: die hastighetsgräns; die Geschwindigkeitsgrenze beim Autofahren. Sie ist ein sensibles Thema in Schweden. Während in Tyskland (Deutschland) auf den meisten Autobahnen fri fart gilt, gibt es in Sverige strenge Grenzen. Die liegen in der Stadt ebenso bei 50 km/h, auf Landstraßen bei 70 km/h und auf Autobahn bei 110 km/h. Die Überschreitung kann recht teuer werden, weshalb Wachsamkeit geboten ist.

Bereit für den Urlaub in Schweden?

Ich hoffe, ich konnte euch mit den obigen 10 Punkten einen kleinen Einblick in die schwedische Seele und die Gepflogenheiten seiner Bewohner geben. Auf das es im Sommerurlaub helfe …!

Für meine Familie und mich geht es dieses Jahr – nach Ausflügen in die Länder Ägypten, Österreich und Kroatien – über Dänemark wieder nach Schweden. Abkühlen.
Vielleicht treffen wir uns ja dort oben irgendwo …? Ich wünsche euch zumindest schon einmal viel Spaß!