Wir befinden uns in einem neuen Internet-Zeitalter. Denn es herrscht ein mit harten Bandagen gefochtener Kampf um die Aufmerksamkeit des Nutzers.
Jede Minute werden tausende Stunden Online-Video, Millionen Texte und aberwitzige Mengen an Fotos ins Netz geladen. Und all diese Medien rufen: schau mich an. Growth Hacking verspricht mit etwas technischem Einsatz und Arbeitszeit, diese Rufe für die eigenen Inhalte zu verstärken.

Doch starten wir zuerst mit einer Relativierung – das ist immer gut für die Erwartungshaltung: Growth Hacking hat eigentlich nichts mit Hacken zu tun, auch wenn es der Name vermittelt. Zumindest nicht mit dem „Wir brechen in Hillary Clintons E-Mail-Postfächer-ein“-Hacking.
Vielmehr ist Growth Hacking eine Methode, um mit Maßnahmen an Technik und Customer Experience für eine Steigerung der eigenen Website- oder App-Performance zu sorgen. Sei es, um „nur“ Besucher zu bekommen oder Leads und Sales zu generieren.

Ursprünglich in der Start-up Kultur auf Nährboden geworfen, hat sich Growth Hacking über die letzten Jahre zu einem Marketing-Weg entwickelt, der einer Betrachtung Wert erscheint.

Ist Growth Hacking Hype … oder wirklich hilfreich?

Das herauszufinden ist einfach, denn es ist beides.

Growth Hacking ist keine neue Technologie oder Methode, aber sie könnte das Herz von mancher Firma in den kommenden Monaten höher schlagen lassen. Denn das Schlagwort dürfte sich in Marketing-Präsentationen direkt hinter die Folien mit Influencer- und Content Marketing einreihen.

Erstmals tauchte der Begriff „Growth Hacking“ im Jahr 2010 auf – eine reichliche Weile her also. Erfunden hat ihn Sean Ellis. Ellis selbst war einst bei Eventbrite beschäftigt und ist heute – nach einigen Zwischenstationen – CEO der ersten Anlaufstelle des von ihm geschaffenen Phänomens: der Online-Marketing-Community growthhackers.com.

Die von Ellis verwortlichte Methode verspricht Wachstum durch das gezielte Einsetzen viraler Mechaniken.
Doch was wie ein neues Wunderheilmittel klingt ist vor allem über lange Zeit erarbeitetes Wissen, welches Schritt für Schritt implementiert, überwacht und justiert werden muss.

Das klingt nicht nur nach kleinteiliger Arbeit, es ist kleinteilige Arbeit. Auch, wenn es auf der ein oder anderen Webseite mit etwas zu großen Worten nicht danach klingt.

Warum Growth Hacking gerade Fahrt aufnimmt

Es ist keine wirkliche Überraschung, warum Growth Hacking in letzter Zeit zum Hype avanciert ist. Die Methodik verspricht rasches Wachstum mit geringem (finanziellen) Aufwand – egal, was man gerade benötigt: Fans, Traffic oder Leads. Growth Hacking ist das neuzeitliche Versprechen des alten immer-kochenden Grieß-Töpfchen.

Es hat einige Jahre gedauert, bis es aus der Nische der „Erfolg im Internet“-Versprecher heraus kam und an den Meeting-Tischen von Start-Ups und Agenturen gelandet ist.
Aber nachdem man nun den Begriff „Content Marketing“ seit gut vier Jahren durch Vorträge und Firmen-Präsentationen trägt, wurde es eben Zeit für etwas Neues ….

Angefangen – so will es die Legende – hat das Growth Hacking einst mit Hotmail. Die Macher setzten in die Fußzeile einer jeden verschickten Mail einen Hinweis auf ihren Dienst – et voila!
An diesem Mechanismus arbeiten sich Growth Hacker heute ab. Sie wollen aus Kunden mit jedem Klick, jeder Handlung, jedem On-Boarding-Prozess das Maximum heraus holen. Es darf „Optimierung“ genannt werden, denn geheime Rezepte oder geheime Hacks gibt es natürlich nicht.

Was sollte ein Growth Hacker können?

Wie immer, wenn es neue Begriffe oder Aufgaben innerhalb einer Firma gibt, wird es schwer die Berufsbeschreibung aus dem Stehgreif heraus zu definieren.

Growth Hacker sind Allrounder, die Erfahrungen in vielen Bereichen gesammelt haben – Marketing, Technologie (Programmieren und Social) sowie Trends. Das neue Berufsbild fungiert als Schnittstelle zwischen all jenen Abteilungen innerhalb eines Unternehmens, die sich mit einem Produkt und dessen Verkauf beschäftigen.

Zudem mag der Growth Hacker Zahlen und Daten. Schließlich müssen Optimierungen nicht nur angestoßen, sondern auch analysiert werden. Denn für den „Wachstums-Hacker“ zählt vor allem eines: bessere Zahlen in allen Bereichen.

Was bringt Growth Hacking nun?

Das ist – wie immer, wenn es um Hype-Begriffe geht – tatsächlich schwer zu sagen. Denn Growth Hacking ist kleinteilige Arbeit, die nur im Kontext des Gesamtproduktes (sei es Webseite oder App) ihre Wirkung offenbart.

Was man nicht tun sollte: all den Growth Hackern mit sensationellen Steigerungsraten trauen. Denn oftmals bewirken kleine Änderungen an der Technik oder Website eben auch nur kleine Schritte in der Performance.
Trotzdem ist Growth Hacking ein Begriff, der Zurecht in das Jargon des Marketings aufgenommen werden darf.
Schliesslich fasst es zusammen, was ein guter Allrounder bzw ein interdisziplinär gut zusammengestelltes Team für die eigene Web- oder App-Entwicklung tun kann: sich die Finger wund hacken um jede Chance für eine Conversion aufzudecken und zu packen. Das Ziel dabei ist stets, dem Nutzer ein optimale Produkt zu liefern, mit dem auch der Verkäufer glücklich ist.

… und nun, wie weiter?

Rund um Growth Hacking gibt es viel im Netz zu lesen. Anfangen kann man damit:

Aaron Ordendorff hat für Mashable einige der bekannteren Growth Hacker gefragt, was das Ganze für sie ist – und welche Tipps sie haben. Hier geht es zum Artikel: Marketing’s 25 most influential share their best growth hacking strategies

Zudem gibt es die ersten deutschsprachigen Bücher. Eines habe ich bereits gelesen – vom deutschen Growth Hacker der ersten Stunde, Hendrik Lennarz. Hier gibt es eine kleine Buchkritik: Growth Hacking mit Strategie – eine Buchkritik.

Am Ende ist Growth Hacking weniger mystisch, als es so mancher aktuell verkaufen mag. Vielmehr sind es kleine Schrauben der Optimierung, die gestellt werden. Jede kleine Änderung bei Amazon und Google ist demnach ein Growth Hack. Nüchtern betrachtet ist Growth Hacking der interdisziplinäre Ansatz dessen, was gute Designer, Programmierer und Copywriter heute bereits – jeder für sich allein – im Alltag praktizieren.