⭐️ 4.5/5

Autor: Manfred Krug
Vollständiger Titel: Manfred Krug. Ich sammle mein Leben zusammen: Tagebücher 1996 – 1997
Genre: Essays
Seiten: 208
Erschienen: 26. Januar 2022; 1. Auflage
ISBN-10: 3985680205
Gelesen: Mai 2022

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Manfred Krug, geboren 1937, war in der DDR und später in der Bundesrepublik ein bekannter Schauspieler und Jazz-Sänger. Er schrieb mehrere Bücher, darunter den Bestseller „Abgehauen“, welcher 1996 erschien. Krug starb am 21. Oktober 2016 im Alter von 79 Jahren.

Krug beginnt sein Tagebuch mit dem Tag, an dem seine Frau Otti zufällig über seine Geliebte Petra und deren – sein! – Kind stolpert. Im Angesicht dieses Dramas beginnt Krug zu schreiben.

Ottilie „Otti“ Krugs war eine in der Öffentlichkeit unauffällige Frau. „Sie starb, wie sie lebte – heimlich und unauffällig“ titelte die BZ anlässlich ihres Todes. Zumindest gegenüber der Öffentlichkeit und in der Darstellung Krugs war „seine Otti“ stets pragmatisch, stoisch.
Und so nahm sie – am Ende wohl nicht zu überrascht von Krugs Eskapaden, anzunehmen zumindest ist, dass Petra nicht die erste Geliebte Krugs war –  diese hin. Nur einmal lässt Krug im Tagebuch anklingen, dass Otti ihn etwas schmorren ließ, als sie Petra ein halbes Jahr nach seinem Schlaganfall zufällig wieder im Hof begegnet. 
Ansonsten ignoriert sie die Beziehung – zumindest aus der Perspektive Krugs – ebenso wie das daraus entsprungene Kind bis zum Schluss.

Ich hätte alle Kinder mit sechzig machen sollen“, schreibt Krug irgendwann. Der Mann, der im Tagebuch mit sich und anderen – selbst seinem guten Freund Jurek Becker – durchaus hart ins Gericht geht, sieht das Bündel stets durch rosarote Augen. Wahrscheinlich, wie kein anderes seiner Kinder. „Mir wird bewusst, wie viel ich von den Kindheiten der drei Großen verpasst habe. Schade.

Die Tagebücher zeichnen Krug als jemand, der sein eigener Stern am Himmel ist. Er, der stets auf das bedacht und zu sprechen kommen will, was er als Erfolg definiert. Er, der stets etwas zu verbittert ob der Ignoranz ist, die ihm von Kollegen und Autoren wegen seines Bestellers „Abgehauen“ entgegen kommt. In „Abgehauen“ zeichnet er die Zeit zwischen Wolff Biermanns Ausbürgerung aus der DDR und seiner eigenen „Flucht“ nach. Krug hatte damals zu jenen Künstlern gehört, die gegen die DDR aufbegehrten. In der Konsequenz fiel Krug vom gefeierten Star der DDR ins unbekannte Nichts West-Berlin.

Wichtigtuer lassen ihre Memoiren drucken, viele Leute erinnern sich an die DDR vor allem als an einen Arbeitsplatz. Da ist mein Buch ein Schlag mitten auf die Zwölf, ein Stopper, ein Eimer Waser auf die fickenden Hunde.

Man kann sich in Krugs Erinnerungen herrlich suhlen; die kleinen Bitterbösigkeiten, die er über Kollegen, Werber, Autoren streut. Die starke Überzeugung in der eigenen Persönlichkeit nur Großes zu sehen indes ist wohl typisch nicht nur für seine Generation Mann, sondern auch für einen, der stets hoffiert und als einer der großen gesamtdeutschen Stars vor und nach der Wende galt.

Und dann folgt auf die Entdeckung seiner Beziehung der nächste Nackenschlag für Krug.
Am 14.3.97 stirbt Jurek Becker, der „beste Freund, der mir doch fremd war“.
Becker war für Krug auch ein nicht unwesentlicher Teil seiner westdeutschen Karriere. Gemeinsam mit ihm erschuf er den „Liebling Kreuzberg“ – eine Serie, die regelmäßig Straßenfeger im deutschen Fernsehen war.

Ich sitze allein in meiner Bude, mir laufen die Tränen runter. Ich genieße es. Welche wunderbare Eigenschaft an uns Menschen. Der größte Ganove kann sich an den eigenen Tränen reinigen. Ich weiß, warum das Tier über die Fähigkeit zu weinen nicht verfügt. Es braucht sie nicht. Keine Ganoven unter den Tieren.

Am 2.4. schreibt Krug dann in sein Tagebuch: „Ich habe zum Schauspielen keine Lust mehr, was soll ich nur machen?

Krug hadert.
Und erleidet am 30.06.97 einen Schlaganfall.
Das Tagebuch folgt anschließend seiner Reha, dem Katz- und Maus-Spiel mit der Presse, den anschließenden Drehs.

Was ich heute nicht aufschreibe, das werde ich morgen nihct erlebt haben. Jeder über fünfzig sollte ein Tagebuch führen, weil er dann mehr erlebt.

Insgesamt ist Krugs Tagebuch ein kleines Stück Zeitgeschichte – nicht nur über zwei Jahre in seinem Leben, die so bestimmend waren. Es ist auch ein Fragment der 1990er Jahre – ein Rückspiegel in die Zeit, Kultur, Werbung (Advocard, Telekom, …) – die Seele des Schauspielers, seiner Kultur-Kollegen und dem Fernsehen.
Es ist nicht unbedingt die passende Lektüre für jeden, für Krug-Fans jedoch allemal.

Für mich hatte Krug irgendwie immer eine gewisse Faszination.
Als Kind verfolgte ich seine Abenteuer „Auf Achse“, lernte ihn dann als „Anwalt Liebling“ und Tatort-Kommissar und irgendwann als Jazz-Sänger kennen. Diese Persönlichkeit faszinierte mich.
Im Rückblick würde man Krug – auch nach dem Lesen des Tagebuchs – wahrscheinlich als ein Paradebeispiel des „alten weißen Mannes“ bezeichnen. Für mich indes macht das Buch und die Erinnerung von und an Krug durchaus auch persönlich noch einmal etwas auf. Krug ist in den Widersprüchlichkeiten seines Charakters eine Erinnerung an meinen eigenen Vater, der in ähnlichem Alter mit einer jüngeren Frau mich bekam. Dabei war er nie die vernarrte Vaterfigur in deren Licht sich Krug setzt. Indes hatte ich Umgang mit der (damals) noch Frau meines Vaters und meinen Stiefschwestern, auch wenn es Jahre dauerte bis ich das wahre Konstrukt der „Tanten“ verstand …