⭐️ 5/5
Autor: Kim Stanley Robinson
Vollständiger Titel: Das Ministerium für die Zukunft
Original-Titel: Ministry for the Future
Genre: Roman
Seiten: 720
Erschienen: 11.10.2021; 2. Auflage
ISBN-10: 3453321707
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Eine Roman, der viele Ansatzpunkte zusammen bringt: Umwelt, Wirtschaft, Gesellschaft – und die Auswirkung der Klimakatastrophe in einem Flickenteppich an Geschichten mit losem roten Faden verbindet.
Mit 720 Seiten ist Robinsons Buch keine „leichte“ Kost, aber einer der imponierendsten Fiktionen, die ich in den letzten Jahren gelesen habe.
Trotzdem erleben wir manchmal Demonstrationen, zum Teil sogar ziemlich große. Demonstrationen sind Partys. Die Leute feiern, und dann gehen sie wieder nach Hause. Nichts verändert sich.
Ich habe „Das Ministerium für die Zukunft“ an einem Ort gelesen, der das Buch gleich noch einmal lebhafter machte: Während meines Urlaubs in Mexiko, bei 35 Grad Celcius und einer Feuchtigkeit von 65 Prozent.
Wieso es das Buch unmittelbarer machte? Weil der Hauptprotagonist des ersten Drittels (Frank) in ähnlichen Klimaverhältnissen nur knapp dem Tod entrinnt. Weil ich mich beim Lesen anfing zu fragen, welchen Grad an ignorantem Luxus ich hier eigentlich gerade auslebe – in Mexiko meinen Urlaub verbringend.
Ich ignoriere den Zustand der Welt nicht – wie sollte ich auch, während wir von Feuern, Hitze, Überflutungen und Artensterben um uns herum eingekesselt werden. Ich bemühe mich um einen einigermaßen neutralen Lifestyle.
Ich habe kein Auto. Verzichte in meiner täglichen Ernährungen weitgehend auf Fleisch. Mich nervt die breite Untätigkeit der Politik in Umweltfragen. Und ich frage mich ernsthaft, wann Bwegungen wie die ‚Letzte Generation‘ in einen blühenden, aggressiven Ökoterrorismus übergehen.
Robinson schafft es mit seinem Buch allerdings, dass ich mich noch mehr hinterfrage. Noch mehr über manche der im Buch präsentierten Ideen, radikalen „Lösungen“ und Szenarien nachdenke. Viele der von Robinson aufgegriffenen Ideen aus Wirtschaft, Umwelt und Politik folgen einem Szenario, dass eigentlich unausweichlich erscheint und doch eines erfordern würde: Mut. Und beim Lesen hofft man inständig, dass irgendwer in der Politik eben diesen Mut endlich einmal findet.
Denn ohne den, ohne ein politisches Einschreiten, werden wir die globale Klimakatastrophe nicht aufhalten können.
Den Mut finden Politiker im Buch indes auch erst, als Millionen sterben und Ökoterroristen irgendwann anfangen ein Dutzende Urlaubs-Flieger vom Himmel zu holen, Oligarschen mit Dronen in die Luft zu sprengen und Millionen von Tieren in Massenhaltung mit BSE-Viren zu infizieren.
Das Gewaltmonopol des Staates war eine gute Sache von früher, die inzwischen ausgedient hatte, und niemand rechnete mit ihrer baldigen Rückkehr. Vielleicht in einer besseren Zeit. Fürs Erste war Verbarrikadieren angesagt. Vielleicht hatte man Glück. Bloß nicht in einen Privatjet steigen, am besten in gar keinen konventionellen Flieger. Das war so ähnlich wie mit dem Verzehr von Rindfleisch: Manche Sachen ließ man sein, weil sie einfach gefährlich waren.
Robinsons Stil wird nicht jede:r mögen.
Es ist keine konsistente Erzählung, kein traditioneller Roman.
Es ist vielmehr eine Fragmentsammlung aus Tagebucheinträgen, Fakten-Kapiteln, philosophischen Versatzen und Meinungsstücken und wenigen belletristischen Einschüben. Immer wieder kehren wir dabei zu einer Handvoll Hauptfiguren zurück, deren Wege parallel laufen oder sich hier und da kreuzen.
Irgendwann in der Mitte des Buches habe ich mich gefragt, wer jetzt eigentlich die Hauptfigur ist – nur um festzustellen, dass es eigentlich keine gibt – oder zumindest eine andere (Mary), als man nach dem ersten Drittel erwarten würde (Frank). Das führt auch dazu, dass Robinson den Protagonisten der ersten Seiten irgendwann einfach komplett aus dem Spiel nimmt.
Durch diese Vielschichtigkeit gelingen 720 Seiten abwechslungsreiche Seiten, auf denen Robinson viele Themen anschneidet, man nie die Spannung verliert und eine ziemlich beklemmende Welt aufrecht erhalten wird. Auf der anderen Seite taucht er zuweilen so tief in manche Situationen seiner beiden Haupt-Protagonisten ein, während er uns von der Welt drumherum nur kurze Momente gönnt. Von manchen Dingen, die er auf drei Seiten abhandelt, hätte ich gern mehr gelesen, von anderen widerrum weniger. Die letzten 50 Seiten, auf denen sich am Ende auch noch eine Romanze anbandelt hätte er sich gänzlich schenken können – auch, wenn dadurch ein bisschen klar wird, „das am Ende alles Gut wird“. Das hat ein bisschen was von einem filmreifen Ende, das in den zum Schluss durchaus hoffnungsvollen Bogen des Romans passt, aber irgendwie dann auch wieder nicht.
Die Message zum Schluss ist irgendwie dann doch „Life goes on, Alles wird gut“.
Solange das Klima sie [die Menschen] nicht umbrachte, leugneten sie oft, dass derlei [Dürren] überhaupt passieren konnte. Anderen vielleicht, aber ihnen? Nein. Ein typischer Denkfehler, der immer wieder auftrat, auch wenn man von seiner Existenz oder Häufigkeit wusste. Das war eine Art evolutionärer Überlebensmechnismus.
Am Ende beinhaltet Robinsons Buch aber auch einen wichtigen Appell: jetzt aktiv werden, zu spät ist es nie. Dabei spielt er durchaus auch mit einem literarisch hohen Einsatz, wenn er sein Buch bereits 2023 beginnen lässt und bis in die 2040er-Jahre zieht. Er hätte es auch komplett aus einem zeitlichen Rahmen nehmen oder 50 Jahre später spielen lassen können. So aber erreicht er ein Grad an erdrückender Realität, weil es greifbar ist. Unmittelbar.
Woher war eigentlich diese Versessenheit auf Schnelligkeit gekommen, warum hatten ihr alle so umfassen nachgegeben? Weil die Menschen machten, was alle machten. Weil zuerst niemand und dann alle fliegen konnten; und Fliegen war etwas Grandioses. Später allerdings auch vergleichbar mit der Fahrt in einem überfüllten Bus. Irgendwann hatten die meisten Passagiere auf dem Flug einfach die Jalousien heruntergezogen, als säßen sie in der U-Bahn, und gar nicht mehr auf dem Fenster geschaut. Ohne Interesse für den Planteten der zehn Kilometer unter ihnen dahinschwebte.
Was Robinson nicht ganz verbergen kann ist seine Abscheu gegen die Finanzbranche.
Die legt er zwar primär einem seiner Protagonisten (Mary) in den Mund, aber er verrät sich in der Vehemenz dann doch selbst. So wiederholt er die Kritik am Kapitalismus stetig, dieser sei undemokratisch, technilokratisch und bevorzuge die Eliten. Dass dies auf der anderen Seite das große Rad ist, an dem man zur Rettung der Welt drehen muss, steht wohl außer Frage.
Sie [die Zentralbanken] wurden von Finanzeliten geleitet, die nach eigenem Gutdüngen handelten, ohne sich mit ihren Parlamtenten oder gar mit ihren Bürgern abzusprechen. […] Die Aufforderung zu undemokratischem Handeln war dieser Clique sicherlich nicht unwillkommen.
„Es gibt kein Schicksal, weil es kein Ende gibt“, lautet der letzte Satz im Buch. Einer, mit Hoffnung. Robinson verlässt seine Zukunft mit einem Haufen ungelöster Probleme. Weil es für den Klimawandel keine einzige, keine gesamte, keine große Lösung geben kann.
Aber er verlässt die Welt mit einer Hoffnung. Dass wir mutig genug sind, die Notwendigkeit beim Schopf zu packen und zu handeln. Im Kleinen. Wie im Großen. Mit Experimenten, Überzeugung, Taten. Kein Weg ist der richtige. Keiner der falsche. Wir müssen nur endlich mal losgehen. Und zwar zügig.
Barack Obama bezeichnete es als „eines der wichtigsten Bücher des Jahres (2021)“, Bill Gates kurzerhand als „terrific“, obgleich – so Gates – sich der Roman nur schwer zusammenfassen ließe. Und ich stimme Gates zu. Schwer zu beschreiben, unbedingt aber lesenswert.