Informatik als Pflichtfach: Vom Wollen, Sollen und dem Können

Ein Gremium empfiehlt den Kultusministern eine dramatische Wende bei der Digitalisierung der Schulen. Ich freue mich auf die Veränderung. Allein: mein Glaube daran fehlt.

Komplett an mir vorbei gegangen ist die am 19. September von der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission veröffentlichte „Handlungsempfehlungen zur Digitalisierung im Bildungswesen“.
Und hui, die hat es in sich: 182 Seiten voller Ambitionen.

Schule ist die wohl rückständigste Institution, wenn es um Digitalisierung geht. Seit meinen Schultagen in den 1990er Jahren hat sich nichts verändert. Ich habe drei Kinder der GenZ in unterschiedlichen Bildungsstufen des Schulsystems. Informatik fängt bei allen erst in der 10. Klasse an – und das auf einem Niveau, bei dem sich die Nackenhaare aufstellen.

Das nun vorlegte Konzept rüttelt ordentlich am schwachsinnigen Föderalismus der bundesdeutschen Bildung, in dem jedes Bundesland eine eigene Kompetenz beim Thema hat.

So schlägt es unter anderem länderübergreifende Zentren für digitale Bildung vor, die digitales Lernmaterial entwickeln, bereitstellen und schulen fördern sollen.

Für die größte öffentliche Aufmerksamkeit, schreibt Jan-Martin Wiarda in seinem Blog, dürfte die Forderung sorgen, schon zum Schuljahr 2024/25 Informatik als Pflichtfach ab Klasse 5 in allen Bundesländern einzuführen – mit mindestens vier, mittelfristig sogar mit sechs Wochenstunden. In der Grundschule sollten Informatikinhalte, etwa zur Funktionsweise von Robotern, im Sachunterricht vorkommen.

Ach, zu wünschen wäre es.
Seit Jahren spreche ich mich dafür aus Medienkompetenz an Schulen zu lehren. Auch, weil ich sehe, wie wenig Eltern selbst in meiner Altersstufe Anfang 40, dazu geeignet sind diese Inhalte jenseits von RTL-Niveauigen Zusammenfassungen zu verstehen. Geschweige den mit ihren Kindern darüber zu reden. Was mir auf Elternabenden und Gesprächen mit Kindern da manchmal entgegen kommt ist abenteuerlich.
Und ja, ich bin hier sicherlich aufgrund meines Jobs privilegiert. Ich kenne die neusten Apps, Memes und Gefahren – und (hoffe) mit der richtigen Mischung aus Vernunft, Warnung und ohne Verbote aber mit Gesprächen darauf zu reagieren.

Informatik und vor allem auch dafür kompetent geschulte Kräfte gehören verpflichtend an Schulen. In einer Gesellschaft, die zunehmend digitaler wird und Kompetenzen in Bereichen aufbauen muss, die es in der letzten Schulreform (gefühlt) 1960 nicht einmal gab.

Und doch, ich muss auch eine Lanze brechen für all die engagierten Lehrer, die heute schon mit den Kids über TikTok, Online-Mobbing und Co sprechen – und diese Themen ebenso verstehen, wie die Mentalität der Generation, die von Kindesbeinen damit aufwächst.

Allein, ich habe meine Zweifel, dass in Zeiten von Corona, Ukraine-Krieg, Inflation und Co eine Bundesregierung den Ländern viel bieten kann, um ihnen das Thema Bildung aus den föderalen Krallen zu nehmen. Oder auch nur den Kopf dafür zu haben, eine so dramatische Kehrtwende beim Thema Bildung in den nächsten zwei Jahren einzuleiten.


Text vom 10.10.2022 Uhr / Letzte Aktualisierung: 10.10.2022, 15:26 Uhr

Hi, ich bin Thomas

Seit mehreren Jahren schreibe ich über Mobilität, Technologie und die Digitale Gesellschaft. Wenn du magst erfährst du hier mehr über mich.