Elon kauft Twitter: Wie ein Autounfall

Elon Musk hat Twitter gekauft. Seitdem rotiert nicht nur der reichste Narzisst der Welt, sondern auch die Medien. Ein paar lose Gedanken.

Na gut. Also, Elon hat Twitter gekauft.

Das Social Network, dass ich als mein Liebstes bezeichne. Auf dem ich seit März 2007 bin. Über das ich Freunde, Kollegen, Jobs und tolle Themen und Diskussionen gefunden habe.

Gleichzeitig ist mein Verhältnis zu Elon Musk sehr kritisch. Ich halte ihn weder für übermäßig talentiert (in was?) noch sozial engagiert. Eher für einen ziemlich Egomanen mit Geld. Dass ein Herbert Diess immer so sehr an ihm hing fand ich stets weird.

Aber was nun macht das alles aus Twitter?

Ich glaube nach wie vor, dass der Kauf von Twitter ein Unfall war. Elon Musk, nicht gerade bekannt für seine Impuls-Kontrolle, hat aus einer Laune heraus ein Angebot gemacht und sah sich dann irgendwann gezwungen Twitter zu kaufen, weil Twitter das dummerweise einklagen wollte.
Nun haben wir den Salat. Und für 44 Milliarden US-Dollar wird niemand ihm den blauen Vogel wieder abkaufen.

Was also macht Elon nun? Er versucht das Ding auf links zu drehen und täuscht Aktionismus vor: stellt hier ein paar Rädchen, trifft da ein paar Entscheidungen. Hauptsache symbolträchtig. Er geht mit dem Vogel um, als wäre es das neue Spielzeug eines 4-jährigen.
Nun könnte man sich die Frage stellen, wann das für ihn uninteressant wird. Allerdings jubeln ihm auf keiner anderen Plattform potentiell 100 Millionen Follower in den Kommentaren zu und streicheln sein Ego. Und vor allem das ist für Musk die wohl entschiedenste KPI – zumindest kann ich mich diesen Eindrucks nicht erwehren.

Elon Musk und Twitter, das ist wie Trump und Twitter.
Und Elon ohne Twitter ist halt genau so.

Atemlos durch die erste musk’sche Twitter-Woche

Das Nachrichten-Karussel um Musk hat sich in den letzten Jahren schon immer rasch gedreht. Die Presse macht den gleichen Fehler wie bei Trump: Jeder Gedankenfurz von Musk auf Twitter wird zu einer Nachricht aufgeblasen. Und Musk indes fühlt sich davon in seinem Tun bestätigt.

Seit Elon mit einem Waschbecken in der Hand – ein Dadjoke, der selbst Kai Pflaume zu billig gewesen wäre – ins Twitter Hauptquartier eingezogen ist, kommt man aus dem Nachrichtenstrudel gar nicht mehr raus.

Erste Probe: Mid-Term Wahlen in den USA

Musk hat als erste Amtshandlung die Führungsetage vor die Tür gesetzt und ist jetzt der einzige Bestimmer – wie Kindergarten-Kinder sich ja gern nennen, wenn sie der Boss im Sandkasten sind.
Er hat auch das Moderatoren-Team quasi ausgesperrt und redet sich um Kopf und Kragen, weil er der US-konservativen Auffassung von „Free Speech“ folgt: Es darf alles gesagt werden, was gedacht wird. Ohne Kosten, ohne Konsequenz.
Die rechte Bubble freut sich. Selbst deutsche Nazis stimmen mit ein und feiern das Zurückdrängen der „woken Linken“ auf Twitter zugunsten der freien Meinung.
Zu dem Thema sagt Sarah Bosetti viel mehr schlaue Sachen als ich hier runtertippen kann – oder will, weil es diesen Beitrag sprengen würden.

Die am 08. November anstehenden Mid-Terms dürften die erste Bewährungsprobe für das „neue Twitter“ werden. Zu befürchten ist eine rechtskonservative Überflutung des Dienstes – ungefiltert, unmoderiert, ungehemmt.

Quo Vadis, Twitter

Musk will viel.
Seine Fans jubeln, manche kritisieren, andere wandern ab. Allerdings kann man jetzt 70.000 neue Accounts auf Mastodon – der „Twitter-Alternative, wie man überall liest – nicht unbedingt als digitale Völkerwanderung auslegen.
Die meisten Otto-Normal-Nutzer dürfte der neue Eigentümer wenig stören.

Die Frage ist nur auch, ob sich Aktivisten, Journalisten und milder gestimmte Politiker demnächst weiter auf einer Plattform tummeln wollen, auf der sie einem Narzissten Geld überweisen sollen der gleichzeitig mit rechten Verschwörungstheorien Stimmung gegen sie macht, seine Follower über die völkerrechtliche Unabhängigkeit eines Landes abstimmen lässt und die konservative Bubble mit seiner Meinung von „befreiter Redefreiheit“ fördert?

Mastodon ist eine Alternative zu Twitter, aber kein zweites Twitter. Eine Plattform wie Twitter gibt es nicht noch einmal. Eine Relevanz wie Twitter wird mittelfristig auch keine vergleichbare Plattform mehr erreichen. Auf der anderen Seite hat nicht Elon Musk Twitter relevant gemacht. Ehrlich gesagt waren es Marketing-Verantwortliche und Journalisten. Das könnte mit jeder anderen Plattform auch passieren.

Sagtest Du „Brand Safety“?

Es wird entscheidend sein, ob Twitter wirklich weiter nach rechts rutscht, wo manche Politiker und Journalisten Alternativen für sich entdecken und ob Marketing-Verantwortliche Twitter nicht vielleicht auch den Rücken kehren. Keine Plattform ist unersetzlich.

Damit will ich nicht sagen, dass Twitter in den kommenden Monaten den Weg von MySpace oder Digg – die einst einmal führende Social Plattformen waren – gehen wird. Allerdings wird es zwangsläufig zu Änderungen kommen.

Keine 24 Stunden nach ihrem Tweet, dass Brand Safety und Werbung auf Twitter wichtig bleiben, hat die bisherige Ad Sales Chief Sarah Personette das Unternehmen verlassen.

Ich tippe, dass wir bis Ende November sehen werden, wohin sich Twitter unter Musk entwickeln wird. Ab da sollten sich Marketing-Verantwortliche entscheiden, ob sie bereit sind diese Richtung mitzugehen und wo der Wert Twitters für sie liegt.

Update, 02. November 23:20 Uhr Das ging schneller als gedacht … vielleicht sollten sich Marken schon jetzt entscheiden? Denn offensichtlich unterstützt man entweder Elon Musks Auffassung von Meinungsfreiheit, oder „political correctness“ mit Anführungszeichen …

Neben den eigenen Werbetreibenden stößt Musk heute Abend auch seine eigenen Nutzer mit zwei Tweets (eins, zwei) vor den Kopf …

Zuletzt

… wie ich mir die Situation bei Twitter aktuell vorstelle, wenn jemand gerade aus seinem zweiwöchigen Urlaub wieder kommt:

Marcel Weiß sieht es denke ich ähnlich wie ich und formuliert: Wie Twitter sterben wird – jene, die heute Power-User sind, werden sich von Twitter unter Musk aus verschiedenen Gründen verabschieden.

Man findet mich noch auf Twitter: gigold.de/twitter – und Mastodon: gigold.de/mastodon. Das Bild zum Artikel zeigt, was Midjourney zu „Elon Musk with bird in his hands“ einfällt.


Text vom 02.11.2022 Uhr / Letzte Aktualisierung: 03.11.2022, 00:01 Uhr

Hi, ich bin Thomas

Seit mehreren Jahren schreibe ich über Mobilität, Technologie und die Digitale Gesellschaft. Wenn du magst erfährst du hier mehr über mich.