London ist kaum vorstellbar ohne einige Dinge: Big Ben, den Buckingham Palace, die Themse – und die Black Cabs. Das Londoner Taxi ist so typisch wie die Ford Crown Victoria, die in New York die Inkarnation des gelben Taxis sind (jedoch langsam verschwinden). Die Besonderheit des typischen Taxis in London: Es wird seit Ewigkeiten von der Taxigesellschaft selbst gebaut; seit einigen Jahren mit dem Anteilseigner Geely.
Es ist höchst selten, dass Transport- und Logistikunternehmen ihre Fahrzeuge selbst bauen. Die Deutsche Post aber wagt genau diesen Schritt.
Denn Deutsche-Post-Chef Frank Appel hat die vollständige Elektrifizierung der Zusteller-Flotte beschlossen.
Grundlage für dieses distruptive Vorgehen der Post ist das eigens für den Zustellerbetrieb konzipierte Auto namens StreetScooter.
Dessen Idee geht auf ein Projekt der RWTH Aachen aus dem Jahr 2010 zurück. Im Dezember 2014 übernahm die Deutsche Post das resultierende Start-up komplett und erprobte das Fahrzeug in allen erdenklichen Formen. Ende letzten Jahres dann beschloss man Serienproduktion und drückt nun ordentlich aufs elektrische Gaspedal.
Warum die Deutsche Post zum Autohersteller wird
Das die Post ihr Elektrofahrzeug überhaupt selbst produziert, erzählte Projekt-Chef Jürgen Gerdes dem SPIEGEL vor einiger Zeit, sei aus der Not heraus geboren. So habe das Unternehmen bei Volkswagen und Daimler nach einem rein elektrischen Transporter gefragt, beide Unternehmen hätten jedoch abgewunken.
Zu gering war den großen Konzernen der Bedarf, zu hoch die Entwicklungskosten.
So kam die Post schließlich zum Entschluss: selber machen.
Der Post-Flitzer kommt aktuell auf eine Reichweite von 80 bis 120 Kilometer, fährt 80 km/h Spitze und kann 650 Kilogramm zuladen. Für den Post-Einsatz im urbanen Raum vollkommen ausreichend.
Zwei größere Brüder sollen noch entstehen: Einer mit 1,4 Tonnen Zuladungsgrenze sowie einer mit größerem Volumenraum. Auch forsche die Firma mittlerweile an autonomen Features, erzählt Gerdes. So wäre vorstellbar, dass die Fahrzeuge den Paketzustellern auf ihren Fußwegen zu den Häusern entlang der Straße langsam und vollautomatisch folgen.
Bis Anfang 2017 hatte die Deutsche Post 800 E-Fahrzeuge im Probeeinsatz. Die haben in den letzten drei Jahren mehr als eine Million Kilometer absolviert und gezeigt: Sie sind leistungsfähig im Alltag.
Gekostet soll das Projekt laut DHL-Vorstandschef Frank Appel bisher insgesamt etwas über 14 Millionen Euro haben, wovon die Hälfte vom Bund kam.
Weil die Autos im Langzeitbetrieb daneben noch günstiger sind – sie sind unter andere so konstruiert, dass sich Verschleißteile ohne viel Aufwand austauschen lassen – wird die Post ihre gesamte Zustellflotte in Europa mittelfristig auf die Elektrovehikel umzustellen. Von bis zu 70.000 rein elektrischen Fahrzeugen in der Flotte spricht die Deutsche Post.
Elektro-Transporter der Post läuft in Serienproduktion
Anfang des Jahres nun startete die Massenproduktion der Post-Autos. In einer umgebauten Wagon-Halle in Aachen.
Und das ist erst der Anfang.
Weil die Nachfrage nach den StreetScootern von anderen Unternehmen – Handwerksbetriebe, Zusteller, Stadtwerke, Liefer- und Produktionsfirmen – so riesig ist, änderte die Deutsche Post bereits mehrfach ihre Prognosen für den Bau des Kleinsttransporters. Zuerst ging man von 2.000 Fahrzeugen pro Jahr aus, Anfang des Jahres von 10.000. Und vor wenigen Tagen verkündete man, die Produktion mit einem zweiten Werk weiter ausbauen zu wollen – auf 20.000 Fahrzeuge pro Jahr.
Den ersten externen Kunden hat Post nun am Wochenende verkündet: die Deutsche See kauft 80 StreetScooter. Die Fahrzeuge sollen von Köln aus an 20 Standorten des größten deutschen Fischhändlers zum Einsatz kommen.
Eigens für die Deutsche See sollen die StreetScooter mit einem Kühlkoffer ausgestattet werden. Immerhin 680 Kilo kann der Micro-Transporter dann satteln.
Volkswagen ist nicht amüsiert
Volkswagen meldet sich wenige Tage, nach dem oben verlinkten Interview zwischen SPIEGEL und Jürgen Gerdes bereits zu Wort – und klingt ziemlich verschnupft : „Mich ärgert das maßlos“, sagte der VW-Chef Matthias Müller. Es wäre schön gewesen, wenn die Deutsche Post auf einen zugekommen wäre, erklärte der Volkswagen-Konzernchef im Club Hamburger Wirtschaftsjournalisten.
Genau das aber wäre die Post, hatte Gerdes hingegen schon im SPIEGEL erklärt. Damals jedoch habe VW nur Möglichkeiten geboten die zu weit in der Zukunft lagen oder schlichtweg teurer als die eigene Lösung gewesen wären.
Und auch die Deutsche See kann sich bei der Verkündung des Deals mit der Post einen Seitenhieb gegen Volkswagen nicht verkneifen. Der Großhändler hatte die Wolfsburger angesichts des Dieselskandals auf 11,9 Millionen verklagt – weil die gekaufte Flotte an Fahrzeugen nicht die versprochenen Werte einhielt.
Nun fährt man elektrisch und Deutsche See-Chef Egbert Miebach schießt in der „BILD am Sonntag“ in Richtung VW: „Volkswagen konnte und wollte uns in zehn Jahren keine Elektrolösung für unseren Nutzfahrzeugbedarf bieten“.
Das wird Matthias Müller nicht gefallen.
Der Nutzfahrzeugmarkt ist unheimlich sensibel – die Margen sind gering und jedes nicht verkaufte Fahrzeug schmerzt. Vor allem aber geht es auch um das Image. Wie sieht es aus, wenn ehemalige Kunden plötzlich ihre eigenen Autos bauen?
Deshalb hat Müller bereits vor einigen Monaten verkündet mit der Post reden zu wollen. Schwer vorstellbar jedoch, dass man beim Logistikunternehmen noch zuhören mag – was hat Volkswagen schließlich zu bieten, dass man nicht bereits gelöst hat?