Ich bin – scheinbar – ein lebendes Klischee: Mitte 30, Vater, mache irgendwas mit dem Internet und stehe total auf Dänemark und Schweden. Auf der anderen Seite bin ich mit drei Kindern wesentlich über dem Schnitt, pendle jeden Tag 360 Kilometer und Dänemark mag ich auch nur, weil dort alle so entspannt scheinen.

Trotzdem muss ich gestehen: vom Hygge-sein habe ich bis vor wenigen Wochen noch nie gehört.

Nun mag das nichts heissen, und doch bin ich damit sowas von nicht im Trend. Denn jeder, dessen Leben aussieht wie der durchschnittliche Instagram-Lifestyle-Account gepaart mit dem aktuellen IKEA Katalog lebt – richtig! – hygge.

Hygge als Lebenseinstellung

Das Wort „Hygge“ selbst kommt aus Norwegen, wo es für Wohlbefinden steht. Irgendwann Ende des 18. Jahrhunderts haben die Dänen das Wort dann übernommen. Dort steht es für es sich nett machen.

Bis es zu einem kommerziell getriebenen Hipster-Lebensstil konvertierte. Schaut man sich nämlich einmal den Suchtrend bei Google an, wird klar: bisher war es eben nur ein Wort. Doch was soll’s – jeder Hype braucht einen Begriff, sonst wird es schwierig. Niemand fühlt sich nordisch, das klingt schließlich eher nach Kiefernwald als nach Copenhagen. Und cozy ist auch schon recht abgetreten.

Hygge hingegen ist cool. Und weil es so schön nordisch ist, kann man so viel hinein interpretieren. In etwa: „Kunst der Innigkeit“ und „Gemütlichkeit der Seele„. So schreibt es der Bastei Lübbe Verlag in einer Pressemitteilung. Und noch mehr. So kann das dänische Wort auch für ein ablenkungsfreies Leben stehen, ebenso wie für die Freude am Gegenwärtigen. Manchmal dann auch für das gemütliche Beisammensein. Für alles eben, was streßfrei und schön ist.

Hygge ist ein künstlicher Trend

Wir alle warten doch sehnsüchtig auf Ruhe, in unserer hektischen Welt. Deshalb boomt Hygge seit Ende August 2016.

Suchtrend-Verlauf zu Hygge

Seit Ende August 2017 ist Hygge in den Suchtrends bei Google massiv gestiegen. Vor allem in Dänemark und Norwegen sucht man danach.

Der Trend ist aber natürlich kein Zufall.
Im Gegenteil, er kommt aus Großbritannien und wird von dort aus über die Welt getrieben.

Alles begann mit einem recht unschuldigen Artikel über das dänische Lebensgefühl auf der Website der BBC. Der wurde wahnsinnig oft geklickt und sowohl dessen Autorin Justin Parkinson als auch einige Verlage dachten: Interessant!
Wenige Monate später überfluteten im September 2016 insgesamt neun Bücher zum Thema Hygge sein schließlich das Königreich – binnen vier Wochen. Die Mehrzahl der Bücher kam dabei aus der Penguin Random House Verlagsgruppe und waren nicht etwa von den Autoren geplant, sondern vom Verlag in Auftrag gegeben.
Flankiert wurden die Bücher von zahllosen Presse-Artikeln. Die erklärten, wie man Hygge ausspricht, welche Bücher man lesen und welche Produkte man unbedingt kaufen solle um hygge zu sein. Tolle PR Arbeit, verbunden mit Handelsunternehmen, die schnell genug waren, um aufzuspringen.

Das erfolgreichste der neun Bücher: „The Little Book of Hygge: The Danish Way to Live Well“ von Meik Wiking.
Niemand wäre besser geeignet den hyggeligen Trend um die Gunst der nach Anleitung zum Entspannen-lechzenden Leserschaft besser zu erläutern als der vom Verlag gecastete Meik Wiking. Denn der in London lebende Wiking kennt sich mit dem glücklichen Leben aus.
Er ist Chef des dänischen „Happiness Research Institute“.
Wenig überraschend, wenn er den vom Verlag geplanten Bestseller zum Trend liefert. Oder liefert der künstlich erschaffene Trend den Bestseller?
Kommt auf die Sichtweise an.

Hygge ist deshalb so ein Hype, weil es nahtlos aus dem (digitalen) Detox-Trend steigt und irgendwie Erwachsenenmalbuch-Ausmaler und übermüdete Selbstoptimierer vorm Kamin zusammenbringt.

Am Ende also ist Hygge nichts weiter als die in ein Wort gegossene, kommerziell angetriebene Ausrede, um mal fünf Minuten die Beine hochlegen zu können.
Ich mach‘ es mir jetzt hyggelig. Wer dabei cool sein will teilt das Bild seiner Pause auf Instagram – satte 1,9 Millionen Bilder sind dort mit dem Hashtag versehen.

Lagom statt Hygge

Scheint, als hätte ich mit dem Hygge Trend so viel nicht verpasst, lasse ich mich sowieso nicht zu sehr streßen. Im Gegenteil.

Für eben dieses Verhalten gibt es in Schweden einen tollen Ausdruck, den ich wirklich sehr mag: Lagom. Es bedeutet genau richtig. Vielleicht schreibe ich darüber mal ein Buch – über das gesunde Mittelmaß. Ich könnte mir vorstellen, das wird im kommenden Herbst ein Trend!

Bild aus: The Social Guidebook to Sweden von Julien S. Bourrelle

Wer jetzt trotzdem mag: Hygge – ein Lebensgefühl, das einfach glücklich macht kann man in der deutschen Übersetzung bei Amazon kaufen. Es ist mittlerweile ebenso in Deutschland angekommen, wie einige der anderen acht Bücher.