Der Tod kommt stets mit wenigen Worten aus.
Was sollen auch noch viele Worte vergeben werden, für Jemanden dessen Tod absehbar und unvermeidlich war? 
Und so war jene Pressemitteilung, welche die Leipziger Messe am 22. Februar 2016 versandt recht kurz. Sie verkündete das Ende der eigenen „Auto Mobil International“. Die Automesse erlebte ihren 25. Geburtstag nicht mehr und war Geschichte.

Als Teil des damaligen Kommunikations-Teams hatte ich bereits wenige Tage zuvor erfahren, dass die Messe knapp sieben Wochen vor dem Start abgesagt wird. Es war traurig, und doch auch nicht unerwartet.
Traurig, weil mich zehn Jahre lang etwas mit der Messe verband. Nicht unerwartet, weil dieses unbestimmte Gefühl, dass es Zuende gehen könnte, schon bei der letzten Ausgabe Mitte 2014 vorhanden war.

Eines aber wurde an diesem 22.02.2016 klar: Automessen haben als Kommunikationsanlass endgültig ausgedient.

Die liebevoll AMI abgekürzte, 250.000 Besucher starke Messe war eines der ersten Opfer eines Trends, der den Wandel der Automobil-Industrie dokumentiert.

Die IAA 2019 schrumpft massiv

Ein Trend, der bereits seit 10 Jahren deutlich sichtbar ist, der sich in den letzten fünf Jahren jedoch deutlich verstärkt hat.

Hersteller wie Mazda, Ford und Volvo beschlossen schon frühzeitig Neuheiten dort zu zeigen, wo sie Publikum jenseits der normalen Petrolheads finden. Sie stellten ihre Fahrzeuge zu Events vor, auf denen es primär um Technologie, Design oder Fashion ging – nicht mehr um das Auto selbst.
Den Herstellern ist bewusst, dass sie sich verändern müssen. Die Branche sieht sich nicht mehr als Autohersteller, sondern wahlweise als Technologie- und Mobilitätsanbieter, Designschmiede, Premium-Mietwagen-Anbieter oder Luxusgüter-Konzern.

So präsentierte Ford bereits 2014 den neuen Focus auf dem Mobile World Congress in Barcelona, statt auf der zwei Wochen später stattfindenden AMI. Volvo inszeniert Weltpremieren schon lange nicht mehr auf Automessen, sondern – wie die Weltpremiere des XC40 letztes Jahr – auf der Fashionweek in Mailand. Und Mazda feiert Premieren durchaus eher auf einer Designmesse, wie zuletzt den Mazda3 auf der Blickfang in Köln.
Getoppt hat all das vor wenigen Wochen BMW: Die Münchner richteten 80 Tage vor der IAA eine eigene „Hausmesse“ namens #NEXTGen aus, auf welcher man neben Workshops zu allen digitalen Lösungen des eigenen Konzern nicht weniger als sieben Weltpremieren feierte – neben diversen Neufahrzeugen wie dem neuen BMW M8 auch ein Concept Fahrzeug, den Vision M NEXT. Früher stellte man Concept Cars allein auf Messen vor, um den Wettbewerb in der Berichterstattung abzuhängen. Heute lädt man 750 Journalisten, Influencer und Händler-Vertreter lieber in die BMW Welt und redet exklusiv mit ihnen.

Es ist dann auch wenig überraschend, dass der IAA-Auftritt von BMW in diesem Jahr entsprechend kleiner ausfällt: Halle 11 des Frankfurter Messegelände – in den letzten Jahren noch vollständig „BMW Land“ – teilen sich die Münchner in diesem Jahr mit Alpina, Hyundai, Jaguar, Opel und Trasco.

Überhaupt: Das Bemerkenswerteste an der IAA 2019 ist, dass die Zahl der fehlenden Aussteller die der anwesenden übertrifft.
Vom veröffentlichten Geländeplan ausgehend werden Mazda, Rolls-Royce, Aston Martin, Nissan, Mitsubishi, Chevrolet, Cadillac, Volvo, Toyota, Subaru, Lexus, Peugeot, Citroën und DS sowie Tesla, Suzuki und Fiat Chrysler mit Ferrari, Alfa Romeo and Jeep, Kia, Bentley, Bugatti, Maserati, Infiniti und Isuzu sowie alle chinesischen Hersteller fehlen. Renault und Dacia stehen offenbar nur noch auf einer Freifläche, statt in einer Halle.
Alle anderen haben ihre Präsenz massiv verkleinert: BMW teilt sich die Halle 11. Audi wird nicht mehr mit einem eigenen Gebäude auf der Agora sein, sondern einen normalen Stand in Halle 3 beziehen. Mercedes belegt laut Plan nur noch das Forum, nicht mehr die gesamte Festhalle.

Der Geländeplan der IAA 2019 sieht leer aus…

„Mehr als eine Automesse“ – aber braucht man das?

Die IAA versucht, die klägliche Auswahl an Herstellern mit einem Rahmenprogramm und einer neuen Positionierung zu kompensieren. Man sei „viel mehr als eine Autoshow und Messe – die führende Plattform für Mobilität“, schreibt der Veranstalter VDA es auf der Webseite der Messe.
Aber wird das reichen?

Welchen Grund gibt es, auf eine Automesse zu gehen?
Logisch: Dort kann ich als Besucher all die Autos, die ich mir erträume oder die für mich als nächstes für einen Kauf in Frage kommen, einmal anschauen und anfassen. Und das, ohne mich von zu aufdringlichem Personal befragen oder abwimmeln lassen zu müssen.
Wenn jedoch gerade die Exoten und kleinen Hersteller dann nicht auf der Messe auftauchen werden die Gründe für einen Besuch geringer.

Für all jene, an die sich eine „Mobilitätsmesse“ richten könnte indes, ist eine solche Veranstaltung hochgradig uninteressant. Sie nutzen Mobilität via App – egal ob Carsharing, Ridesharing, Bike, Bus, Bahn, E-Roller oder Mitfahrzentrale. Der Mobilitätskunde der Zukunft braucht keine Messe, um sich über Angebote zu informieren. Er hat sie jederzeit und immer griffbereit dabei – in seiner Hosentasche.

Wozu also sollte ich eine Mobilitätsmesse besuchen?

Die Digitalisierung überholt das Konzept der Automesse

Die Rechnung für die Hersteller ist einfach: Lohnt sich das Millioneninvestment in einen 10-tägigen Messestand gegenüber der gewonnenen Aufmerksamkeit?
Für Automessen lautet die Antwort zunehmend: Nein.

Denn…
Erstens: Ich erreiche keine neuen Zielgruppen. Und genau das ist, worauf es den Konzernen heute ankommt. Sie müssen Petrolheads nicht von digitalen Angeboten überzeugen, sondern neue Luxus-, Design- und Mobilitätskunden gewinnen.

Zweitens: Ich muss mir die Aufmerksamkeit der Presse mit meinen Wettbewerbern teilen. Bei dem Überangebot an Nischen-Modellen wird das zusehens schwerer.

Drittens: Ich muss in einem abkühlenden Absatzmarkt schlicht priorisieren welche Marketing- und Entwicklungskosten ich ausgebe, und was diese Ausgaben unter dem Strich bringen. Die Rechnung scheint bei immer mehr Herstellern nicht für eine Messe zu sprechen. 

Viertens: Kann oder will ich bei einem steigenden Angebot von Modellen nicht warten, bis eine Automesse für deren Premiere vor der Tür steht. Allein BMW bringt in diesem Jahr über 10 neue Modelle raus – kein Vergleich zu früher™, als es pro Jahr maximal zwei groß inszenierte Neuheiten gab. 

Fünftens: Eignen sich Messen wenig gut, dem geneigten Petrolhead-Automesse-Besucher meine neue digitale Strategie zu erklären, statt mir andauernd Vorwürfe anhören zu müssen, weshalb ich keine V8- oder Reihensechszylinder-Motoren mehr baue.

Sechstens: Meine Kommunikation bestimme dank des Internets heute weitestgehend ich selbst. Ich bin nicht mehr zwanghaft auf Journalisten oder Mund-zu-Mund-Propaganda am Stammtisch angewiesen. Gute PR, Content Marketing, Influencer, Social Media: Das steuern die Hersteller heute selbst und legen das Geld eines teuren Messestands wesentlich besser an – mit kontrollierbarem Erfolg.

Die AMI in Leipzig war eines der ersten Opfer, die nicht auf die Krise 2008/09 sondern die Digitalisierung der Automobilindustrie zurück zu führen ist.
Seitdem spüren auch andere Messen, wie ihnen die Hersteller langsam die Liebe entziehen. Die Messe in Detroit musste in diesem Jahr unter anderem ohne Mercedes und BMW auskommen, obwohl die beiden Hersteller dort ihren zweitwichtigsten Markt haben. Genf und Paris kämpfen hart um jeden Quadratmeter, den Aussteller buchen können, müssen aber beispielsweise auch bereits auf einige Hersteller wie eben Mazda und Volvo oder Ford verzichten.
Den Messen in China geht es noch einigermaßen gut – nicht zuletzt dank großer Aufgebote der asiatischen Hersteller. Und, weil der Markt dort noch boomt. Die Betonung liegt auf noch. Denn der wichtigste Absatzmarkt für die deutschen Hersteller kühlt sich langsam ab.

2019 ist für die IAA das Jahr der Wahrheit

Für die IAA wird 2019 ein hartes Prüfungsjahr.
Es könnte gar das letzte Jahr sein, in welchem die Messe sich als eine der größten Automobilmessen der Welt bezeichnen darf.
Natürlich muss man sagen, dass unter den 990 Ausstellern im Jahr 2017 „nur“ 50 Autohersteller waren – aber diese machen den Unterschied zwischen einer Fach- und einer Besuchermesse. Sie sind es, die den Bärenanteil der 810.000 Besucher nach Frankfurt brachten. Bei einer nur mehr halb so großen Anzahl an reinen Autoherstellern wird es spannend zu sehen sein, wie viele Menschen den Weg zur IAA noch auf sich nehmen werden…

Das mehr als die Hälfte der weltweit wichtigsten Autohersteller fehlt, ist ein Alarmsignal für die Messe Frankfurt und den Ausrichter VDA. Denn nicht nur der digitale Wandel der Branche wird in zwei Jahren wieder fortgeschritten sein, sondern auch die Einsparmaßnahmen, die aufgrund der zu erwartenden geringeren Absätze und gleichzeitig höheren Investitionen notwendig sind.

Sicher, meine Todesanzeige im Header ist voreilig. Die IAA hat gute Chancen als Fachmesse bestehen zu bleiben. 900 Aussteller machen hier Business jenseits des Endkonsumenten. Als breite Publikumsmesse jedoch dürfte die Ausgabe 2019 eine Abschiedsrunde sein. Wenn ich falsch liege, freuen wir uns 2021 und stoßen gemeinsam auf der Agora an…

Thomas Gigold begleitete die Auto Mobil International (AMI) von 2007 bis 2016 als freier Mitarbeiter im Bereich Online-Kommunikation. Für BMW schrieb er von 2005 bis 2018 das Motor Show Blog, welches sich dem Thema Automobil-Messen widmete. Seit 2009 arbeitet er hauptberuflich im Bereich Social Media für die Automobilbranche.