500 Kilometer durch Deutschland mit dem Rad

Mit dem Fahrrad bin ich von Mitteldeutschland nach Kalifornien (an die Ostsee) gefahren. 4 Tage, 500 Kilometer. Über Geplantes, Gepacktes und Erlebtes.

Wann ist Bikepacking eigentlich Bikepacking?
Muss man für echtes Bikepacking in einem Zelt übernachten?
Ich bin ein Komfortmensch. Das gebe ich offen zu. Ich will Abends eine Dusche, im besten Fall auch eine Toilette und ein Bett. Auch, wenn ich mir seit ein paar Monaten romantisch ausmale, wie es wohl sein würde, in einem Zelt im Nirgendwo zu übernachten. Dann fällt mir immer ein: ich müsste kochen, auf dem Waldboden schlafen, nach einem Tag auf dem Bike aufs Duschen verzichten, und – sagen wir einfach, wie es ist – in den Wald kacken.

Inhalt

Mit dem Rad von Hotel zu Hotel

Nee. Ich arbeite hart, verdiene gut – und gönne mir dann den Komfort, meine Micro-Abenteuer mit einem Hotelbett am Abend zu krönen.
Vielleicht. Ganz vielleich. Komme ich irgendwann mal noch in ein Zelt. Nicht aber in diesem Jahr.

Und so hatte ich Anfang des Jahres einmal ins Auge gefasst, eine Drei-Tage-Radtour zu machen – es stand allerdings auch von Anfang an fest, dass ich diese mit Hotelübernachtungen plane.

Wie aus Rügen mal eben Kalifornien wurde

Der ursprüngliche Plan: von meinem Wohnort (zwischen Halle/Saale & Leipzig) nach Rügen und um Rügen herum.
Irgendwann im späten Mai hatte ich dann den Termin (Mitte August) und machte mich an die Planung. Die Route war einfach. Die Hotelfindung weniger. Denn auch, wenn bei uns im Osten die Ferien im August bereits vorbei waren – in Bayern waren sie es noch nicht, und damit ist auf Rügen noch immer Saison. Selbst ein Fass auf einem Zeltplatz kostete beim Check schnell mal 120 Euro pro Nacht.
Nun schrieb ich „ich verdiene gut“ – aber die Frage ist natürlich trotzdem: was bin ich bereit für eine Nacht auszugeben, in der nicht Luxus sondern einzig die Matratze & Dusche zählt?

Ich verwarf also Rügen.
Das Ziel Ostsee war jedoch nicht verhandelbar.
Wie also wäre es mit … ich ging Orte an der Küste durch, die ich kannte: Flensburg, Lübeck, Stralsund, Rostock, Kiel … K … Kalifornien, erinnerte mich, lag doch da oben auch irgendwo? Aber wo?

Gegoogelt. Für witzig als Ziel befunden.

Blieb das Problem: Übernachtungen.

Weil der Weg nun flexibler war, hieß es Billighotels checken.
Prüfen, wo es B&B, ibis Budget und Motel One gibt – meine Lieblingshotels für 1 Nacht in einer Stadt, weil günstig & immer gleich (gut). Und dann einfach nach Verfügbarkeit planen.

Nach ein paar Minuten ergaben sich so die Zwischenziele:

Von (Nähe) Halle geht es nach Magdeburg. Dann nach Lüneburg. Von dort nach Kiel und final dann nach Kalifornien, dass nur 25 Kilometer von Kiel entfernt liegt, ich aber entspannt erreichen wollte.
110 Kilometer für die erste Zwischenetappe. Danach 170 Kilometer. 160 Kilometer am Folgetag. Und 60 Kilometer am Letzten.
Ursprünglich wollte ich von Lüneburg direkt nach Kalifornien, und dann nach Kiel – dann wären aus den 160 Kilometer aber 220 Kilometer geworden. Keine unmögliche Tagesleistung (habe ich schon gemacht), aber ich wollte mich nicht streßen. Außerdem konnte ich so den Tag in Kalifornien genießen und Zeit am Meer verbringen, statt gestreßt noch nach Kiel rein zu müssen nach einem langen Tag.

Geplant. Gemacht.

Ab geht es

Meine Planung war damit fertig.
Am Donnerstag, 15. August, hatte ich (dank bayerischem Arbeitgeber) Feiertag. Den Tag drauf Urlaub. Dann Wochenende. Vier Tage für 500 Kilometer. Am Montag nahm ich ebenfalls Urlaub und bummel mit dem Deutschlandticket im Nahverkehr zurück nach Hause.

Das Bike meiner Wahl ist mein Rennrad; mit meinem Gravel habe ich bereits Touren gemacht – am zwei Monate alten Canyon CF habe ich jedoch noch zu viel Spaß, als dass ich es Zuhause lassen kann.
Im Gepäck bringe ich neben Snacks, einem Schlauch und bisschen Werkzeug meine Klamotten unter.
Ein Rad-Outfit (kurzes Trikot, Baselayer, kurze Bib, Socken) habe ich an mir, ein zweites packe ich ein. Dazu dünne Regenjacke (die billigste vom Decathlon – habe ich tatsächlich 3x angehabt), Ärmlinge, Beinlinge, 2 Shirts (1 leichtes für Abends, 1 normales für die Zugfahrt), 1 leichten Hoodie, eine kurze Hose, Unterwäsche & Socken, Zahnbürste. Ein paar normale Sportschuhe (ich fahre mit Cleats) kommen ebenso dazu.
Das Wetter soll zum Glück recht stabil im mittleren 20er-Grad-Bereich bleiben.

Tag 1: Halle – Magdeburg

Damit mache ich mich am Donnerstag gegen 14 Uhr auf den Weg.
Magdeburg sind 110 Kilometer - keine große Herausforderung, das fahre ich durchaus an einem Sonntag mal aus Spaß weg und weiß daher, wie ich mir Kraft und Zeit einteile. Nach 5 entspannten Stunden (mit einer Pause am Fluss) bin ich da. Mein Ziel ist es, mich nicht zu überlasten, alles entspannt anzugehen – mit meinem 27er Schnitt liege ich da vollkommen im Zielkorridor. Die einzige Herausforderung war die leicht chaotische Verkehrsleitung in Magdeburg, zudem gab es zwei Gravel-Abschnitte, die ich in der Routenplanung offenbar übersehen hatte. Mit dem Rennrad sind die Abschnitte okay, aber bei jedem wegspringenden Stein zucke ich leicht und hoffe, der Reifen hält es aus.
Am Abend komme ich im Hotel an – das B&B in Brachstedt. Eingecheckt bin ich, zudem habe ich mir an jedem Zielort vorher notiert wo der nächste Supermarkt & Bäcker (vor dem Aufbruch am Morgen) ist, also fix Trinken auffüllen, danach Essen und den Tag als erfüllt ansehen.

Tag 2: Magdeburg - Lüneburg

Der zweite Tag hält die weiteste Strecke bereit. 170 Kilometer. Meine Zielzeit dafür sind inklusive Pausen 9 Stunden. Ich frühstücke in Ruhe, um 09:45 starte ich die Tour. Zielzeit irgendwo zwischen 18:30 und 19:00 Uhr also. Meine Rechnung ist einfach: ich bin leicht schneller als ein 25er Schnitt, was 7 Stunden bedeutet, dazu 2 plus X Stunden Pause. Die Zielzeit ist schaffbar, ich weiß zudem wann ich ein bisschen schneller oder langsamer machen kann.

Meine Planung ist eigentlich, aller 2 Stunden an einem Supermarkt oder Bäcker anzuhalten. Die ersten 60 Kilometer ziehe ich ohne Pause durch, ab da halte ich Ausschau. Nach 70 Kilometer habe ich jedoch auf meiner Route durch die Dörfer noch keinen (Super-)Markt auf meiner Route gehabt, und mein Wasser geht zur Neige. Ich checke, und weiche für 10 Kilometer von der Route ab – fahre nach Klötze, tanke auf, esse ein Eis und weiter geht es.

Von Halle nach Magdeburg kann man lange neben der Elbe lang. Landschaftlich schick. Durch die Altmark faszinieren vor allem die kleinen Dörfer mit vielen (hergerichteten) Bauernhöfen und -Häusern. Ich wundere mich, den Leuten geht es den Häusern und Autos davor zu urteilen augenscheinlich gut, wieso wählen die trotzdem alle AfD?
Nach 120 Kilometern überquere ich die anhaltinische Landesgrenze nach Niedersachsen. Kaum merklich, tatsächlich.
In Uelzen stoppe ich noch einmal. Den Rest nach Lüneburg radel ich gemütlich weg.

In Lüneburg hatte ich eigentlich das B&B im Auge, das jedoch ausgebucht war. Statt dessen lande ich im Best Western. Zum Abendessen wähle ich ein Restaurant 3 Kilometer vom Hotel aus und laufe hin und zurück. Lüneburg, denke ich zum ersten mal, ist echt hübsch.

Am Ende des Tages stehen 180 Kilometer auf dem Radcomputer, 9 Stunden (inklusive Pause) und ein Schnitt von 26 km/h.

Tag 3: Lüneburg – Kiel

Am nächsten Morgen bin ich erstaunlich früh wach, weshalb ich schon um 9 Uhr auf dem Rad sitze. Es ist kühl, den ganzen Tag werde ich im Gegenwind fahren. Zuerst aber Frühstück, Supermarkt, dann geht es auf die 160 Kilometer für heute. Erstaunlicherweise sind meine Beine nach wie vor putzmunter. Ich muss mich eher ein bisschen zurück halten – ich weiß, der Tag wird nochmal lang, nicht schnell sondern stetig ist das Motto.

Ich rolle durch Lüneburg. Meine hervorragende Routenplanung war so gut, dass mich mein Navi einmal komplett durch die innerstädtische Fußgängerzone lots. Immerhin: Lüneburg, denke ich zum zweiten Mal, ist echt richtig hübsch.
Hat sich also gelohnt, auch wenn ich für die ersten 10 Kilometer die absurde Zeit von einer Stunde benötige. Danach mach ich ein bisschen Tempo, sonst schaffe ich meine Zielzeit nicht.

Nach 25 Kilometern passiere ich die Elbe. Danach die nächste Landesgrenze. Touchiere Hamburg für 5 Kilometer und bummele dann gemütlich durch eine wunderschöne Landschaft – Wald, Felder, tolle Radwege und einsame Straßen wechseln sich ab. Einzig: es geht hier deutlich mehr auf und ab, als ich gedacht hätte. Jede Menge kleine Anstiege, hier und da gar in die Landschaft asphaltierte Achterbahnen gehen ordentlich in die Beine.

Nach 100 Kilometern beginnt auf der Landstraße plötzlich ein Stau. Ich radel links an den wartenden Autos vorbei. Kilometer geht das so. Ich wundere mich. Bis ich das Ortseingangsschild von Bad Segeberg sehe. Und zack – überall Menschenmassen, Absperrungen, … Ich hätte wohl vorher schauen sollen, aber insgesamt ist es keine Idee durch den Ort der Winnetou-Spiele zu fahren, wenn man da gerade aufspielt. Das kostet Zeit.

20 Kilometer vor dem Ziel Kiel dann eine Straßensperrung vor einer Autobahnauffahrt. Unfall. Nirgendswo stehen Autos. Ich frage einen der Polizisten, ob ich eventuell einfach vorbei könnte statt in der prallen Sonne zu warten oder die 20 Kilometer einsamer Landstraße, die ich gerade parallel zur Autobahn gekommen bin, wieder zurück zu fahren. Er reagiert nicht nur mit einem „Nein“, sondern einer Triade an wüsten Drohungen – schlecht geschlafen, scheint es. Ich krame also ein bisschen durch Maps und finde einen 2 Kilometer langen Schotterweg der einen Bogen um den Unfall macht. Also nochmal: Graveln, mit 8 bar im Reifen und der Angst, dass es gleich zisch macht.

Die letzten Kilometer nach Kiel rein sind eine Wonne. Kiel, muss festgehalten werden, hat das beste ausgebaute Radwegnetz, dass ich bisher in irgend einer deutschen Stadt erfahren durfte. Sahne!

Einchecken im B&B beim Schwedenhafen. Abendessen. Den Tag als erledigt abhaken.
Insgesamt 164 Kilometer stehen auf dem Tachometer, 26 km/h Durchschnitt, 8:50 Stunden (mit Pausen).

Tag 4: Kiel – Kalifornien

Ausschlafen. Träge in den Tag starten. Frühstücken.
In meinen Beinen zieht der Schneidermuskel („Herr Doktor, mein Musculus sartorius ziept!“) - der macht sich bei mir vor allem dann bemerkbar, wenn ich viele Anstiege meistern musste, wie gestern. Ansonsten fühle ich mich fit. Will wieder aufs Rad!
Schließlich geht es heute auch endlich ans Meer. Nach Kalifornien.

Um 12:30 setze ich mich aufs Rad. Durch Kiel hindurch die Kilometer nach Kalifornien habe ich mich für die „Inlandsroute“ entschieden. Und Junge, die Beine wollen es noch einmal wissen. Kaum aus der Stadt (mit den fantastisch ausgebauten Radwegen), fliege ich mit einem Mit-30er Schnitt Richtung Strand. Von dem Ziehen nichts mehr zu merken.

Es geht erst nach Brasilien, dann auf dem Strandweg nach Kalifornien.
Den Tag verbringe ich am Strand. Es ist Sonntag, weil aber bewölkt ist und nur knapp über 20 Grad ist der Strand menschenleer.
Den Rückweg habe ich auf den Wegen direkt am Meer entlang geplant. Das ist extrem langsam, aber wunderschön.

Knapp 6 Stunden bin ich am Ende unterwegs, mit gerade einmal 24 km/h Schnitt aber glücklich.

Aus

Den Abend noch in Kiel. Ich packe alles, was zusätzlich Gewicht ist vom Rad in einen Beutel: „Arschrakete“ samt Inhalt und die Frontlenkertasche. Mein Ziel ist, möglichst wenig am Rad zu haben, damit ich beim Umsteigen das Rad (7 Kilo) möglichst problemlos einfach in einer Hand tragen kann und im Zug ebenfalls recht schmal bin.

Eine Entscheidung, die ich bei der Rückreise per Nahverkehr (6x Umsteigen, 9 Stunden) mindestens 3x nicht bereue. Zwei Zugverspätungen sorgen für knappe Umstiegszeiten – statt mühevoll und Zeitintensiv das Rad mit Gepäck wuchten oder auf Aufzüge warten zu müssen, packe ich mir mein Gepäck auf den Rücken, das Rad auf die Schulter und bin schnell im anderen Zug.
Im vorletzten Zug steigen 2 Haltestellen vor dem Ziel dermaßen viele Radler zu, dass ich mich mit dem schmalen Renner einfach zwischen die Sitzreihen in den Gang stellen kann, ohne groß handieren zu müssen.

Um 18 Uhr am Montag Abend bin ich wieder Zuhause.
Und ehrlich gesagt: Ich fühle mich topfit und würde am Liebsten noch ein paar Tage dran hängen.

In der Woche sitze ich dann recht wenig auf dem Rad. Ruhetage sind ebenso wichtig. Mein Hintern ist am Dienstag eigentlich das Einzige, was ich körperlich von den zurückliegenden 500 Kilometern merke.

Wieder?

Ich würde es nicht nur wieder tun. Ich werde. Und will.
Im letzten Jahr war ich 450 Kilometer an drei Tagen unterwegs – Halle, Berlin, Runde um Berlin und zurück.
Die Motivation durch den Namen „Kalifornien“ und Meer war diesmal jedoch noch einmal etwas Besonderes. Ich könnte mir für 2025 vorstellen, nach Kopenhagen zu düsen … nur die Rückreise muss dann gut geplant sein.

Ich hatte zudem ein bisschen mehr am Rad, als ich eigentlich benötigt habe. Die Rahmentasche war recht leer. Bei der Lenkertasche habe ich bis kurz vor Abfahrt überlegt, ob ich sie ans Rad machen soll. Dort hatte ich vorrangig Riegel und Gele dabei, die ich bis an die Ostsee und wieder zurück gebracht (sprich: nicht genutzt) habe. Ich würde bei gleicher Tour schlicht auf die Lenkertasche verzichten.

Das größte „Learning“:
Für mich war diesmal das Ziel bis zur Ostsee zu kommen.
Für eine mehr „genussvolle“ Tour würde ich vielleicht pro Tag eher in 140 Kilometer Tagesziel denken – gar nicht, weil es körperlich anstrengend war, sondern weil ich mir gern noch ein bisschen mehr Zeit gönnen würde links und rechts der Route zu schauen – oder auch mal für 5 Kilometer abzuweichen, weil da ein Schild für irgend ein Kulturdenkmal oder sowas steht.

Links

Instagram Stories Highlight mit Bildern
Tag 1, Halle – Magdeburg – Strava & Komoot
Tag 2, Magdeburg – Lüneburg – Strava & Komoot
Tag 3, Lüneburg – Kiel – Strava & Komoot
Tag 4, Kiel – Kalifornien – Strava & Komoot


Text vom 28.08.2024 Uhr / Letzte Aktualisierung: 28.08.2024, 15:00 Uhr

Hi, ich bin Thomas

Seit mehreren Jahren schreibe ich über Mobilität, Technologie und die Digitale Gesellschaft. Wenn du magst erfährst du hier mehr über mich.