Nicht alles sollte einen Zweck haben, oder einem Ziel folgen.
Als das Netz Anfang der 2000er Jahre erblüht erkundeten wir stundenlang andere Webseiten, erlagen der Magie des WWW und freuten uns hinter dem 56k Modem über pixelige GIFs, spannende Themen und neuen Klatsch aus den USA um Mulder und Scully.
Uns ging es beim Tippen der ersten HTML Website nicht darum „Influencer“ zu werden. Jede:r verbummelte Zeit damit seine Webseiten HTML 4-konform zu bekommen oder seine Liebe zu etwas im Netz zu dokumentieren. Wir wussten nichts und es ging um nicht viel mehr als uns selbst.

Warum wir es taten? Weil der Akt der Kreation, des Erstellens und Pflegens einer Website als solche, wichtig waren. Nicht ihre Besucherzahlen, der daraus resultierende finanzielle Vorteil oder eine neue Referenz auf Linkedin.

Unser TikTok hieß GeoCities

Ja. Die Zeiten waren natürlich unbeschwerter. Keine Impressum-Pflicht, kein Cookie-Banner und die Interpretation von Urheberrecht war – wenn man es freundlich ausdrückt – auf dem Level von Fair Use.

Vor allem aber gab es kein Social Media. Es gab keine Plattform, die dich bediente und zwanghaft auf ihrer Seite behalten wollte. Wer vor 20 Jahren im Web unterwegs war musste schlichtweg irgendwann anfangen sich selbst zu beschäftigen. Und das tat man eben, indem man selbst eine eigene Webseite ins Netz packte und sich auf diese Art über Gästebücher, E-Mails, Foren und Mailinglisten über die Feinheiten des Website-Baus auszutauschen.
Es ging weniger um sich als Person, sondern den Ausdruck und Austausch dessen was einem Spaß macht.

GeoCities revolutionierte dieses „Netz in den Kinderschuhen“, indem es jedem 2 MB an Speicher schenkte (nein, kein Typo! später waren es 15 MB), auf die man – finanziert durch einen schicken Banner – seine eigene Website packen konnte.

Erst vor Kurzem hat David Bohnett, der Gründer von GeoCities, in einem Interview erklärt, was er denkt, was das Old Web vom neuen, heutigen Netz unterscheidet.

„It [GeoCities] really was a forerunner of the social networks to come, as you learn. One of the things that has surprised me is how far away we’ve gotten from [that time]. The heart of GeoCities was sharing your knowledge and passions about subjects with other people. It really wasn’t about what you had to eat and where you’ve traveled. There was a travel section, but it was really more about tapping into your personal passion and giving you a format to join a like-minded community and share that with other people. It wasn’t anything about your face.“

Ich kann das nachfühlen.
Ich arbeite seit 15 Jahren als Social Media Berater. Ich liebe meinen Job, jedes neue Meme und den Austausch mit jungen Kollegen. Aber ja, ich komme aus einer Zeit in der es noch peinlich war das eigene Gesicht auf einem Foto zu sehen. Und auf meinen eigenen Kanälen über diesen Schatten zu springen fällt mir selbst heute echt noch immer schwer … Bei manchen Sachen ist man halt offenbar wirklich alt.

Retro im Hinterhof des Internets

Während der letzten Tage, in denen ich mit meiner Idee zu einem Blogger-Webring schwanger ging, begab ich mich auf eine Rundreise in die Hinterhöfe des Web. Abseits der hippen Web 3.0-Neonlicht-Anzeigen und Web 2.0 Einkaufspassagen.
Quasi ins Neukölln des Web.

Und durchaus erstaunt stellte ich fest, dass es in den Ecken dieser Gegend tatsächlich Höfe gibt, in denen sich Menschen rege über den Spirit des „alten Internets“ austauschen. Und sogar Webseiten ins Netz stellen, die den alten Regeln folgen.

In Webringen wie Retronaut, OldNet oder Yesterweb versammeln sich ernsthafte wie nostalgische, humorvolle und zuweilen auch echte, sehr alte Webseiten.

Es ist ein Abtauchen in ein Netz, dass man so eigentlich verloren geglaubt hat.
Es ist aber irgendwie auch toll zu sehen, dass es noch immer Menschen gibt, die an das „Small Web glauben und das Anfertigen einer Webseite selbst als Ziel sehen, nicht ihren monetären Umsatz.
Es ist ein Web das dem E/N Prinzipfolgt: means *E*verything to me, but (maybe) *N*othing to you. Meine Webseite ist mir genug, dir muss sie aber eben nicht gefallen.
Es sind Menschen, die Lücken in die Zäune der Wallet Gardens Twitter und Facebook reißen wollen, die sich ebenso wenig dem Algorithmus wie dem Willen des Lesers unterwerfen.

Ausflugsziel digitaler Hinterhof – Links

Wer wirklich abtauchen mag, der möge sich einen heissen Tee machen, ein paar Stunden Zeit nehmen und den guten alten Modem Sound abspielen bevor es los geht.
Und dann: anschnallen, den Links oben folgen.
Und hier anschließend weiter surfen: geekring, Hotline oder netizen.

Mit Wiby gibt es gar eine Suchmaschine für speziell diese alten Webseiten. Das Coolste: es gibt eine Zufallsfunktion, die euch auf irgend eine der dort erfassten Seiten schickt.

Und schließlich gibt es mit Webringo ein Verzeichnis Dutzender Webringe, die mit zahlreichen Seiten gefüllt sind. All diese Seiten folgen mehr oder weniger den Standards des alten Webs.

Der Blick zurück ist mehr als Nostalgie

Es gibt sehr viele Aspekte des neuen Webs, die ich liebe. Kreativität drückt sich heute anders aus als vor 20 Jahren – mit Memes, GIFs, Videos. Aber ein Blick zurück gibt neben dem nostalgischen Gefühl manchmal auch neue Ideen oder Interpretationsmöglichkeiten. Ein Gedanke zur Datenkompatibilität und Backups in Zeiten von Plattformen, die von heute auf morgen verschwinden können, gehört dazu: Macht mehr Screenshots.