„Haben wir keine anderen Probleme?“
„Haben wir den keine anderen Probleme“, ist der Gnadenschuss einer jeden Diskussion in der man meint ein Thema hätte in einer überkomplexen Welt kein Grund diskutiert zu werden.
Dabei verkennt der/die Kommentierende, dass sich Menschen nicht nur monotheistisch mit der Welt beschäftigen. Ich kann das Klimaproblem oder den Krieg in der Ukraine nicht beenden. Deshalb beschäftige ich mich tagsüber durchaus mit Themen, die mir persönlich darüber hinaus wichtig sind. Gleichberechtigung (in der Sprache und im Alltag), Marketing-Strategien (für den Kunden), das Aussehen meines Blogs, meine persönliche Echauffierung über Jens Spahn, die Frage nach der Sinnhaftigkeit von KI-Bildern in Blogs - solche Dinge. Banale Dinge für die eine, zum Browser-Tab-schließen animierende Themen für andere.
Aber ich sag es mal so: Tja.
Ich persönlich beschäftige mich mit vielerlei Themen im Alltag. So verlange ich das zum Beispiel dann auch von der Politik. Wenn also mal wieder ein Thema diskutiert wird, das mich nicht tangiert, dann zucke ich mit den Schultern und lese die nächste Headline.
Kein Grund für mich das Abo der ZEIT zu kündigen oder die Tagesschau zu ignorieren, weil sie gendert (oder in meinem Fall eher, weil sie es ggf. nicht tut).
Ignoranz ist nicht zwangsläufig etwas Negatives, sondern ab und an eine Gabe.
Ansonsten hätte ich mit meinem Leben in Sachsen-Anhalt wirklich zu hadern.
Haben wir keine anderen Probleme?
Doch, jede Menge. Aber es gibt keinen Grund, einem Thema die Wichtigkeit entziehen zu wollen, nur weil es einem nicht in den Kram passt.
Ähnlich klingt auch: "Wir können ohnehin nichts ändern." Meine Frau sagt das auch, wenn ich mich wieder mal aufrege über irgendeinen Mist, der auf der Welt passiert ist. Nachvollziehbar sind solche fatalistischen Ansätze schon.
Je älter ich werde, werde ich meinem Vater in dieser Hinsicht ähnlicher. Er war zeit seines Lebens ein engagierter Sozialdemokrat. Als er alt und krank wurde, trat diese fatalistische Einstellung mehr und mehr zum Vorschein. Heute würde ich es als ein Anzeichen für die zahlreichen Probleme unserer Gesellschaft beschreiben.
Ich finde es immer wieder erstaunlich, wie viel Energie in "Ablenkungsdebatten" oder impulsartige Diskussionen gelenkt wird. Alle paar Jubeljahre fällt uns auf, dass die Zustände der Infrastruktur, Pflege, Schulbildung oder der Umwelt katastrophal sind. Was dagegen tun ist aber unbequem, Fatalismus ist ja viel einfacher.
Was mir Sorge bereitet, ist der immer stärker um sich greifende Trend, Widersprüche nicht aushalten zu können. Widersprüche im Miteinander aber auch im eigenen Handeln. Und wenn man darauf gestoßen wird, mutieren viele zur argumentativen Kleinkindern, die sich an schon vor Jahren und Jahrzehnten dünnen Strohhalmen vermeintlicher Konventionen klammern. Als würden sie bei der kleinsten Änderung ihre Lebensgrundlage verlieren.
Wenn man Eigenverantwortung einfordert (und da sind einige Menschen sehr groß drin), muss man auch mit den Konsequenzen leben. Wer das nicht kann, dem begegne ich durchaus mit einem ironisch distanzierten Fatalismus.