Wie viel Selbstoptimierung ist eigentlich gesund?
In einer seit Jahren anhaltende Welle führen uns selbsternannte Coaches, Influencer und Mentoren vor Augen, wie Kacke wir sind, wenn wir uns nicht ständig optimieren: Jeden Tag um 4 Uhr Morgens aufstehen. Täglich ein halbes Buch lesen. 10.000 Schritte laufen. Tagebuch schreiben. Und über all das natürlich ein Habbit-Log führen.

Wer optimiert die Selbstoptimierung?

Tracken, des Tracken Willens.
Lindsay Crouse titelte vor einigen Tagen in der NYTimes: I Ditched My Smart Watch, and I Don’t Regret It (‚Ich bin meine Smartwatch losgeworden, und ich bereue es nicht‘). Sie schreibt, wie sie von ihrer Smartwatch „kontrolliert“ wurde: „Once you outsource your well-being to a device and convert it into a number, it stops being yours“ (‚Wenn du dein Wohlbefinden erst einmal an ein Gerät ausgelagert und in eine Zahl konvertiert hast, ist es nicht mehr deins‘).

Das ist – habe ich das Gefühl – ein immer wiederkehrendes Thema bei all dem Selbstoptimierungswahn da draussen. Erst steigert man sich rein, protokolliert gar, wie viele Gläser Wasser man am Tag trinkt und irgendwann kommt man zur Frage: Warum eigentlich?

Ich trage seit geraumer Zeit auch eine smarte Apple Watch.
Noch hängt sie allerdings an mir, nicht ich an ihr – wie Crouse. Ich kontrolliere nicht jede Minute meine Herzfrequenz, meinen Blutdruck oder logge, wann ich atme.

Wobei mir mein Tracker hilft

Trotzdem hilft mir dieses kleine Gerät bei einigen Dingen.
Dabei, mir jeden Abend vor Augen zu halten, dass ich jetzt lieber schlafen gehen sollte – um auf mein Mindestmaß an Schlaf zu kommen.

Und dabei, bewusster zu agieren. Etwa, zwischen all der Arbeit auch einmal aufzustehen.
Und natürlich stehe ich dann nicht nur auf, um die Uhr zu befriedigen, sondern mich zu strecken, etwas zu trinken zu holen, … Ich habe die kleine Uhr auch, um mich daran zu erinnern, dass ich regelmäßig Sport treiben sollte. 30 Minuten „Aktivität“ sollen es täglich sein. Laufen, Gehen, Fahrrad fahren, … – Bewegen halt.
Klingt eigentlich genau wie bei Crouse, oder?

Der Unterschied ist allerdings, dass wenn an einem faulen Sonntag meine Kreise nicht geschlossen sind, ich damit leben kann. Was soll’s.

In all der Selbstoptimierung verliert man sich schnell.
Die Kunst ist, die Droge Selbstoptimierung selbst nicht nur zu optimieren, sondern zu kontrollieren. Das Glück hängt nicht von einer 500 Euro teuren Armbanduhr ab. Es aber genau darauf zu schieben scheint mir so eine Parabel auf unsere Gesellschaft zu sein.

Mein Glück kann ich steuern, funktioniert die versprochene Lösung aber nicht sind die Uhr, Schuhe, das Buch oder die Waage Schuld.

Tracking verurteilt nicht, Menschen tun es

Aber ist es nicht eigentlich ganz anders?

Doch, dein Gewicht ist vollkommen okay. Verurteilen tut dich nicht die Waage, sondern die Gesellschaft.
Ja, es ist vollkommen okay, faul zu sein. Verurteilen tut dich jedoch nicht deine Smartwatch, sondern Instagram Coaches, Influencer und du selbst. Der Uhr per se ist vollkommen egal, ob deine Ringe geschlossen sind oder nicht …

Jörg Thomann stichelt in der FAZ – anlässlich der aktuellen Porta-Kampagen*, in der das Möbelhaus keine Waagen mehr verkauft -: „Nun lösen auch Bügeleisen […] nicht durchweg positive Gefühle bei ihren Besitzern aus und werden dennoch nicht geächtet. […] Sollte Portas Beispiel Schule machen, dann müssten bald Handys Instagram blockieren mit seinen superschlanken Influencerinnen“.

Und am Ende ist eben die Frage: Wenn Crouse die Smartwatch ächtet ist sie eigentlich besser als die ganzen Coaches da draussen, die dir weiss machen wollen, alles zu loggen sei gut?
Die Uhr ist nicht der Böse. Was ich draus mache ist‘s.

* Die Porta-Kampagen wurde von einem Team bei meinem Arbeitgeber Jung von Matt Spree entwickelt und umgesetzt.