Politik in Deutschland: fehlende Strategie, fehlende Vision
Friedrich Merz redet gern. Davon, wie böse die Welt, wie faul die Deutschen, und wie schlecht es der Wirtschaft geht. Sein liebstes Feindbild: Grüne Umwelt- und Wirtschaftspolitik.
Mich fasziniert seit Jahren, dass sich Konservative stets auf die Heimat und den Stolz darauf berufen, für deren Schutz in der Zukunft aber nichts tun (wollen).
Schönstes Beispiel ist das 'Verbrenner-Aus-Aus'. An Quatschigkeit eigentlich nicht zu überbieten – und an Wirtschaft ebenso wie Klimaschutz ein vollkommen falsches Signal.
Das Lieblingsnarrativ von (rechts-)Konservativen: Klimaschutz gefährdet die Wirtschaft.
Und das können wir natürlich nicht zulassen – schließlich ist der Erhalt unseres Wohlstands wichtiger als eine Welt, die in 50 Jahren für unsere Kinder und Enkel noch bewohnbar ist.
Politische Aufgabe ist nicht, fossile Geschäftsmodelle künstlich zu erhalten, sondern neue zu ermöglichen.
– Claudia Kemfert vom DIW.
Dabei zeigt ein Blick auf mehrere Studien das Gegenteil: Klimaschutz kostet Geld – ja. Aber er kann auch einen positiven Effekt auf die Wirtschaft haben.
Allerdings: Was es dazu bräuchte – für Investoren, Wirtschaft und Bevölkerung – wäre eine Strategie, sowie eine positive Erzählung. Und da sind wir beim großen Problem: Strategien, vor allem politisch und wirtschaftliche – funktionieren nicht in Vier-Jahres-Zyklen. Und keinem ist daran gelegen, dass der heute ausgetüfftelte Plan dem politischen Gegner in 10 Jahren nützt. Versteht der dumme Wähler eh nicht.
Und deshalb entsteht etwas wie eine politische Vision überhaupt nicht mehr.
Deutschland, sagt Forscherin Florence Gaub (Geschenklink) in einem anderen Interview, weiß eigentlich nur, was es nicht will.
Was wir nicht wollen, können wir auswendig erzählen: Wir wollen keinen Krieg. Wir wollen keine Klimakatastrophe. Wir wollen keine KI. Wir wollen keine AfD. Aber was wollen wir denn? Dass alles so bleibt, wie es ist? Das ist doch keine Zukunft.
– Florence Gaub
Für die NATO entwickelt Gaub Zukunftsszenarien. Die Deutschland sei primär eigentlich nur, was man NICHT WILL. Hingegen fehle es vollständig an einer Idee, was man eigentlich will.
Ich bemängele das Fehlen einer politischen Vision schon seit Jahren.
Weder Olaf Scholz noch Friedrich Merz könnten dir – außer mit Phrasen – erzählen, wie sie sich Deutschland 2050 vorstellen. Führende Nation für E-Fuels, hätte Christian Lindner vielleicht noch geantwortet.
Wo liegen eigentlich unsere Stärken im Jahr 2050?
Womit verdienen wir Geld? Was wollen wir erreichen?
Für was soll ein 18-jähriger, jetzt Wehrpflichtiger, eigentlich kämpfen? Klimaschutz, Gleichberechtigung, besser Bildung, ein gerechtes Sozialsystem – das ist's ja offensichtlich nicht?
Es geht nicht darum, zu formulieren, Deutschland noch 3 Jahre länger auf Platz 3 der erfolgreichsten Industrienationen zu haben. Ebensowenig, wie es bei persönlichen Neujahrsvorsätzen darum gehen sollte, 'mehr Sport' oder 'weniger Rauchen' zu tun. „Es geht nicht ums Abnehmen oder darum, nicht mehr zu rauchen, sondern darum, wie man sein Leben verbringen will“, formuliert es Gaub am Ende ihres Interviews. Und das finde ich toll. Das ist nicht nur ein guter Rat, wie man Neujahrsvorsätze formulieren sollte. Es wäre auch einmal eine Aufgabe für Friedrich Merz: Zur Neujahrsansprache wäre das vielleicht mal ein Bild, dass es zu zeichnen Wert ist. Wird aber natürlich nicht kommen – wie könnte man das auch von jemandem verlangen, der nur aufgrund eines gekränkten Egos Kanzler werden wollte.
Wie wahr und interessant: Ich habe gerade am Beispiel der IT-Industrie in ähnlicher Weise argumentiert.
Beim Verbrenner bin ich sicher, dass es kein »aus« und kein »aus-aus« mehr braucht. Das Thema wird sich verselbstständigen, die Leute werden auch so einfach keine Verbrenner mehr kaufen.
Aber die fehlende Vision, die fehlende Strategie deutscher Politik ist tatsächlich ebenso eklatant wie erschreckend offensichtlich.
Unterschreib ich alles. Nur die Bemerkung mit den 70jährigen gefällt mir nicht. Ich werde in 3 Tagen 72 und behaupte, obwohl wir kinderlos sind, dass mir sehr viel an dem liegt, womit Jüngere sich in den nächsten Jahrzehnten konfrontiert sehen könnten. Ich finde, du hast das Problem der Wahlzyklen zu Recht angesprochen. Politik denkt nicht zukunftsorientiert, sondern nur bis zum nächsten Wahltermin. Das ist die Krux, aber das ist auch Demokratie. Wenn wir die Legislaturperioden verlängern, wäre es nämlich auch vielen wieder nicht recht.
Ja, Entschuldige, Horst. Da war ich zu derb in Fahrt – sollte keinesfalls Altersdiskriminierend sein; habe es geändert und spezifischer gemacht.